Biotinhaltige Arzneimittel: Risiko falscher Ergebnisse

Biotinhaltige Arzneimittel: Risiko falscher Ergebnisse

Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich? 

Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen. So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.

Liebe Patientin, lieber Patient,

durch die Einnahme von Biotin können je nach Testmethode Untersuchungsergebnisse fälschlicherweise erhöht oder erniedrigt ausfallen. Daraus ergibt sich ein nicht unerhebliches Risiko für verzögerte oder falsche Diagnosestellungen sowie für lesen Sie hier unseren patientenfreundlichen Warnhinweis zu “Risiko falscher Ergebnisse von Laboruntersuchungen durch Biotininferenzen nach der Einnahme biotinhaltiger Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel oder diätetischer Lebensmittel”.

Viele Laboruntersuchungen (sogenannte Immunassays) zur Bestimmung einer Vielzahl von Biomarkern, wie z. B. von Hormonen, Herz-, Tumor- oder Infektionsmarkern, sowie zur Bestimmung von Arzneimittelkonzentrationen im Blut beruhen auf einem Testprinzip, das auf einer Streptavidin-Biotin-Wechselwirkung beruht.

Streptavidin ist ein von Bakterien des Stammes Streptomyces avidinii synthetisierter Eiweißstoff, der in biotechnologischen Verfahren und Reaktionen Anwendung findet.

Biotin oder auch Vitamin B7 genannt
Biotin, auch als Vitamin B7 oder Vitamin H bezeichnet, ist zur Behandlung von Biotinmangelzuständen sowie zur entsprechenden Vitaminzufuhr für den täglichen Bedarf im Rahmen einer parenteralen (intravenösen “künstlichen”) Ernährung indiziert. Darüber hinaus ist bei angeborenen Defekten im Biotinstoffwechsel eine frühzeitige und lebenslange Biotintherapie unabdingbar. Eine sogenannte Hochdosis-Biotin-Therapie (300 Milligramm pro Tag) wird in klinischen Studien an erwachsenen Patienten zur Behandlung progressiver Multipler Sklerose untersucht. Zudem sind auf dem deutschen Markt zahlreiche Biotin-haltige Nahrungsergänzungsmittel zur Verbesserung des Stoffwechsels und der Pflege und Wachstumsförderung von Nägeln, Haaren und Haut erhältlich.

Die Hersteller Biotin-haltiger Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel sowie diätetischer Lebensmittel informieren in Absprache mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte darüber, dass es bei Laboruntersuchungen, deren Testprinzip auf einer Wechselwirkung zwischen Streptavidin und Biotin beruht, zu signifikanten (klinisch bedeutsamen) falschen Ergebnissen kommen kann, wenn Patienten bis kurz vor oder zum Zeitpunkt der Untersuchung Biotin-haltige Produkte eingenommen haben. Laborergebnisse unnötige oder unterlassene medizinische Behandlungen.

Worum geht es?

Eine erhöhte Anzahl von Fallberichten über falsche Laborergebnisse infolge einer kürzlichen oder gleichzeitigen Einnahme von Biotin war ausschlaggebend zur Durchführung eines Signalverfahrens, in dem das Risiko von Biotininterferenzen untersucht und bewertet wurde.

Biotin bedingt fälschlicherweise zu niedrig bestimmte Troponinwerte hatten beispielsweise bei einem Patienten unter Hochdosis-Biotin-Therapie dazu geführt, dass ein Herzinfarkt nicht erkannt wurde. Darüber hinaus wurden Fälle bei Neugeborenen, Kindern und Erwachsenen bekannt, bei denen ein Muster von falsch erhöhten oder falsch erniedrigten Schilddrüsenwerten das Vorliegen einer Basedow-Krankheit vortäuschte.

Falsche Laborergebnisse infolge Biotininferenzen wurden bei verschiedenen Biotindosierungen beobachtet. Das Risiko bei einer Dosierung unter 150 Mikrogramm pro Tag (orale Einnahme) und 60 Mikrogramm pro Tag (parenterale / intravenöse Anwendung) konnte aufgrund der unzureichenden Datenlage jedoch nicht abschließend bewertet werden.

Da Biotin überwiegend über den Urin ausgeschieden wird, ist bei Patienten mit einer verminderten Nierenleistung (Niereninsuffizienz, erkennbar an erhöhten Blutharnstoff- und Kreatininwerten) mit höheren Biotinkonzentrationen im Blut und dadurch mit einem erhöhten Risiko für verfälschte Laborergebnisse bei Verwendung Biotin-sensibler Testmethoden zu rechnen.

Das Auftreten von Interferenzen ist nicht von dem zu bestimmenden Laborwert, sondern von dem dazu angewendeten Testprinzip abhängig.

Die neuen Handlungsempfehlungen der Hersteller Biotin-haltiger Produkte sollen mögliche Störungen von Laboruntersuchungen durch Biotin rechtzeitig erkennen und Fehldiagnosen vorbeugen. Eine gute Kommunikation zwischen Arzt, Apotheker, Labormitarbeitern und dem Patienten ist ausschlaggebend für die Gewährleistung akkurater Testergebnisse.

Ärzte sollen routinemäßig vor geplanten Laboruntersuchungen die Patienten nach einer etwaigen Einnahme von Biotin befragen. Bei Patienten, die Biotinpräparate einnehmen oder bis vor Kurzem eingenommen haben, soll Rücksprache mit dem beauftragten Labor genommen werden, um ggf. alternative Testverfahren, die für Auswirkungen des Biotins nicht anfällig sind, zu verwenden.
Die Möglichkeit einer Biotininterferenz sollte stets in Betracht gezogen werden, wenn die Laborwerte nicht zu den klinischen Symptomen oder anderen Untersuchungsbefunden passen.
Apotheker sollen Patienten bei der Abgabe Biotin-haltiger Produkte über das Risiko verfälschter Laborergebnisse informieren. Dabei sind die vielfältigen Anwendungsbereiche von Biotin als Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel (insbesondere auch Multivitaminpräparate) zu beachten.

Labormitarbeiter sollen über die laboreigenen Testsysteme geschult werden, die einer Biotininterferenz unterliegen könnten. Bei der Befundübermittlung auf Basis solcher Testverfahren sollte auf eine mögliche Biotininterferenz hingewiesen werden.
Die Mitarbeiter sollen, sofern die zu analysierende (Blut)Probe im Labor entnommen wird, die Patienten routinemäßig nach einer etwaigen Biotineinnahme befragen. Falls das Risiko einer Biotininterferenz besteht, sollen Testmethoden, die nicht für Störungen durch Biotin anfällig sind, bevorzugt werden.

Die Fach- und Gebrauchsinformationen Biotin-haltiger Arzneimittel zum Einnehmen, die 150 Mikrogramm und mehr Biotin pro Dosiseinheit enthalten, und der Arzneimittel zur patenteralen (intravenösen) Anwendung, die 60 Mikrogramm und mehr Biotin pro Dosiseinheit enthalten, werden aufgrund des Risikos falscher Laborergebnisse infolge Biotininterferenz überarbeitet und erhalten die folgenden ergänzenden Hinweise:

“Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung
Auswirkung auf klinische Laboruntersuchungen
Biotin kann Auswirkungen auf Laboruntersuchungen haben, die auf einer Wechselwirkung zwischen Biotin und Streptavidin beruhen und die in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode entweder zu falsch erniedrigten oder falsch erhöhten Untersuchungsergebnissen führen können. Das Risiko von Auswirkungen ist bei Kindern und Patienten mit Niereninsuffizienz erhöht und steigt mit höheren Dosen. Bei der Interpretation der Ergebnisse der Laboruntersuchungen muss eine mögliche Auswirkung des Biotins berücksichtigt werden, insbesondere wenn eine Unstimmigkeit mit dem klinischen Bild beobachtet wird (z. B. Ergebnisse von Schilddrüsenuntersuchungen, die scheinbar auf Morbus Basedow hinweisen, bei asymptomatischen Patienten, die Biotin einnehmen oder falsch negative Troponintestergebnisse bei Patienten mit Herzinfarkt, die Biotin einnehmen). Sofern der Verdacht auf eine Beeinflussung durch Biotin besteht, sollten – sofern verfügbar – alternative Untersuchungen, die für Auswirkungen des Biotins nicht anfällig sind, verwendet werden. Bei der Anforderung von Laboruntersuchungen bei Patienten, die Biotin einnehmen, sollte das Laborpersonal konsultiert werden.”

Was ist zu tun?

Vor allem Patienten mit einer Niereninsuffizienz, die aufgrund dieser Krankheit eine höhere Biotin-Konzentration im Blut aufweisen, besitzen ein erhöhtes Risiko für eine mögliche Wechselwirkung mit Biotin-sensiblen Testmethoden – auch bei Einnahme von Produkten, deren Biotingehalt unter 150 bzw. 60 Mikrogramm pro Dosiseinheit liegt.

Besondere Aufmerksamkeit gilt auch Neugeborenen, Kindern und Schwangeren sowie Patienten unter einer Hochdosis-Biotin-Therapie mit bis zu 300 Milligramm (entsprechend 300.000 Mikrogramm!) Biotin pro Tag (z.B. Multiple-Sklerose-Patienten in diesbezüglichen klinischen Studien).

Sollten Sie bis vor Kurzem oder aktuell biotinhaltige Produkte in Form von Medikamenten, aber auch Nahrungsergänzungsmitteln eingenommen oder diätetischen Lebensmitteln konsumiert und Laboruntersuchungen in Anspruch genommen haben, informieren Sie bitte zeitnah Ihren behandelnden Arzt, um mögliche Biotininterferenzen mit Auswirkungen auf die Aussagefähigkeit Ihrer Laborbefunde zu besprechen oder ausschließen zu können. Bei fraglichen Ergebnisse sollten die Untersuchungen nach einer individuell festgelegten Zeitspanne nach Absetzen des Biotin-haltigen Produkts wiederholt und neu bewertet werden.

Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung

Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Behandlung mit Biotin-haltigen Arzneimitteln, Nahrungsergänzungsmitteln oder auch mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die Rote-Hand-Briefe wirkungsvoll zeigen.

Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.

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