Je nach Land unterschiedliche Nebenwirkungen bei gleichem Medikament
Das ist, auf einen Nenner gebracht, das Ergebnis der englischen Studie. Es klingt unglaublich, und doch müssen die Forscher ja einen Ausgangsverdacht gehabt haben.
Wie sind sie in der Studie vorgegangen? Zum Vergleich der Beipackzettel zog man in England über 12 Antidepressiva und Antikonvulsiva-Arzneimittel heran. Letztere wirken gegen Krampfanfälle wie etwa Epilepsie.
Die vom gleichen Hersteller vertriebenen Medikamente wurden dann bezüglich der Nebenwirkungen verglichen, die in den USA und in Europa dem Medikament durch Beipackzettel angefügt wurden. Das überraschende Ergebnis: Die Abweichungen bei dem jeweils gleichen Medikament bezüglich unerwünschter Nebenwirkungen betrug als Spitzenwert satte 86 Prozent. Selbst im Durchschnitt gab es noch bei 71 Prozent der USA-Medikamente andere Nebenwirkungen als beim EU-Medikament. Doch nicht nur die Abweichungen auf den Informationen zu den Medikamenten fiel den Forschern auf.
Beipackzettel mit zu wenig relevanten Informationen
Für die Patienten und verschreibenden Ärzte sind einige Hinweise wesentlich, um über eine mögliche Behandlung mit einem Medikament bezüglich einer Nebenwirkung eine sinnvolle Entscheidung treffen zu können.
Diese sind
- die Wahrscheinlichkeit einer genannten Nebenwirkung,
- ihre zu erwartende Ausprägung,
- eine mögliche Dauer und
- Chancen eines Abklingens der Nebenwirkung.
Ein Praxisbeispiel: Wären diese Informationen zu einer Nebenwirkung auf dem Beipackzettel, dann könnten Patienten sich trotzdem zu einer Behandlung entschließen. Eine mögliche Nebenwirkung wie beispielsweise Ohrensausen würden sie in Kauf nehmen, wenn das als schlimmer empfundene Krankheitssymptom sich aber bessert. Dies allerdings auch nur, wenn genannte Nebenwirkung in ihrer Schwere tragbar bleibt und mit der Zeit wieder verschwindet, spätestens nach Absetzen der Medikamente. Obwohl diese Details leider oft nicht auf dem Beipackzettel stehen, sind diese nicht gerade klein geraten.
Was an Qualität auf dem Beipackzettel fehlt, wird offensichtlich mit Quantität kompensiert: In der Studie zeigte sich, dass für den größten Teil der Medikamente über 150 Nebenwirkungen genannt wurden. Ein Spitzenwert lag bei einem US-Beipackzettel bei 425 möglichen Nebenwirkungen.
Mögliche Ursachen für die erforschten Unterschiede
Die Leiterin der britischen Studie, Dr. Victoria Cornelius, bemängelt einmal das überwältigende Volumen an Informationen. Gleichzeitig fehlen aber wie beschrieben konkrete und sinnvolle Details für einen möglichen Umgang mit einem Medikament trotz möglicher Nebenwirkungen. Für notwendige Konsequenzen aus der Studie für die Medikamentenkontrolle müsste man Ursachenforschung für diese eklatanten Differenzen der Beipackzettel betreiben.
Zu vermuten sind hierbei vier Gründe:
1. Das gleiche Medikament wird in Europa und den USA mit klinischen Studien unterschiedlichen Designs erprobt.
2. Zur Vergleichbarkeit wird jede beobachtete Nebenwirkung nach medizinischen Wörterbüchern und statistischen Klassifikationen eingeordnet. Auch hier nutzen Europa und die USA unterschiedliche Systeme.
3. Es ergeben sich unterschiedliche Verantwortlichkeiten zur Zulassung und Begleitung von Medikamenten: In den USA ist es die Food and Drug Agency FDA, in Europa ist die European Medicines Agency EMA zuständig.
4. Vor allem in den USA, aber auch zunehmend in Europa ist der Umgang mit Nebenwirkungen bei einem Medikament immer stärker von der Angst vor juristischen Sanktionen geprägt: Diese könnten folgen, wenn eine Nebenwirkung bei einem Patienten auftritt, die nicht im Beipackzettel erwähnt ist. So schreiben manche Hersteller einfach mal 100 weitere Nebenwirkungen hinzu, um „auf der sicheren Seite zu sein“.
Wünschenswerte Konsequenzen
Die Ergebnisse der länderübergreifenden Studie haben natürlich auch Aussagekraft für die Medikamentenforschung und -zulassung im jeweiligen Staatenverbund. Wünschenswert wäre hier eine wieder stärker an der Praxis und so am Patienten orientierte Information zum Medikament. Ebenso ist dafür auch eine detaillierte Darstellung zu den wichtigsten Nebenwirkungen notwendig, und sei es auf einem speziell dem Arzt und Patient zugedachten Teil eines Beipackzettels.
Offensichtlich müssen auch Leitlinien für klinische Medikamentenprüfungen und Begleitung von zugelassenen Medikamenten seitens zuständiger Behörden besser eingehalten werden. Dass dies sogar länderübergreifend möglich sein sollte, darf gewünscht, muss aber derzeit noch als utopisch angesehen werden. Die Studie zeigt aber die enorme Wichtigkeit eines Portals wie diesem, das auch auf Ihre Mitwirkung durch das Melden von Nebenwirkungen bei Medikamenten angewiesen ist.