Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich?
Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen. So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unseren patientenfreundlichen Warnhinweis zum “Risiko gravierender Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika„. Diese Nebenwirkungen betreffen insbesondere den Bewegungsapparat und das Nervensystem. Sie können zu lange (Monate und Jahre) anhaltenden und möglicherweise zu dauerhaft bleibenden (irreversiblen) Schädigungen führen und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
Anlass für den Rote-Hand-Brief vom 8. April 2019 sind die Erkenntnisse der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), die auf Anregung des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medikamente (BfArM) die in der gesamten EU vorliegenden Meldungen über Nebenwirkungen von Fluorchinolonen überprüft und das Risiko-Nutzen-Verhältnis neu bewertet hat.
Nur wenige dieser gravierenden und möglicherweise irreparablen Schädigungen wurden den europäischen Gesundheitsbehörden als Nebenwirkung gemeldet; es ist allerdings davon auszugehen, dass nicht alle aufgetretenen Fälle berichtet wurden.
Zu den bekannt gewordenen Schädigungen am Bewegungsapparat zählen Sehnenreizungen und -entzündungen, Sehnenrisse (häufig der Achillessehne), Gelenkschwellungen, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen und Muskelschwäche, die Stehen und Gehen nahezu unmöglich machen.
Als schwerwiegende, das Nervensystem betreffende Nebenwirkungen sind periphere Neuropathie (Missempfindungen der Haut wie Kribbeln oder stechende, brennende Schmerzen, Taubheitsgefühle), Schlaflosigkeit, Depressionen, extreme Müdigkeit (Fatigue), eingeschränktes Erinnerungsvermögen sowie Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksstörungen zu nennen.
Diese Erkenntnisse sind keineswegs brandneu. Bereits im Herbst 2017 und vor allem im Februar 2018 durch Stern TV wurden Informationen über derartige Schäden, die im Zusammenhang mit der Behandlung mit (Fluor-) chinolon-haltigen Antibiotika ansonsten gesunder Personen der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Worum geht es?
Dieser Rote-Hand-Brief betrifft alle Chinolon- und Fluorchinolon-haltigen Arzneimittel (Antibiotika).
Arzneimittel, die Chinolone (Cinoxacin, Flumequin, Nalidixinsäure und Pipemidsäure) enthalten, werden vom Markt genommen. In Deutschland waren diese Arzneimittel nie beziehungsweise bereits seit längerer Zeit nicht mehr zugelassen.
Bei den in Deutschland zugelassenen Wirkstoffen aus der Klasse der Fluorchinolone handelt es sich um:
Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin
Sie werden von einer Vielzahl von Arzneimittelherstellern angeboten.
Ihre Anwendung erfolgt überwiegend systemisch in Form von Tabletten (oral) bzw. als Infusion (intravenös). Zur inhalativen Anwendung in einem Vernebler steht Levofloxacin zur Verfügung, das bei Patienten mit zystischer Fibrose (auch Mukoviszidose genannt), einer angeborenen Missbildung der Lunge zur Behandlung von schweren chronischen Infektionen der Lunge mit Pseudomonas-Bakterien zum Einsatz gelangt.
Was sind Fluorchinolone?
Fluorchinolone sind so genannte Breitbandantibiotika, die viele verschiedene Bakterienarten daran hindern, sich weiter zu vermehren. Man erkennt diese Medikamente an den Wirkstoffen mit einer Namensendung auf „-floxacin„.
Die ausgezeichnete Wirksamkeit dieser Präparate ist unbestritten, so dass mit ihnen in den meisten Fällen eine Infektion schnell besiegt ist. Das ist aber auch der Grund, weshalb diese Antibiotika in Deutschland bisher offenbar viel zu leichtfertig verordnet und angewendet werden – oft schon bei einfachen Infekten wie Bronchitis, Nebenhöhlen-, Mittelohr- oder Blasenentzündung, für die es auch andere wirksame und verträglichere Antibiotika gäbe.
Angesichts der Schwere und Dauerhaftigkeit der oben beschriebenen Nebenwirkungen werden die Ärzte nun in Abstimmung mit der Europäischen-Arzneimittel-Agentur (EMA) sowie dem Bundesamt für Verbraucher und Medizinprodukte (BfArM) von den Herstellern dieser Chinolon- und Fluorchinolon-haltigen Antibiotika aufgefordert, diese nur noch nach einer sorgfältigen Abwägung des Nutzens und des Risikos im Einzelfall zu verordnen.
Die Produktinformationen für Fluorchinolon-haltige Arzneimittel werden mit diesen neuen Informationen entsprechend aktualisiert.
Neue Empfehlungen für die Fluorchinolon-Antibiotika
Fluorchinolon-Antibiotika sollen demnach nicht verschrieben werden,
- zur Behandlung von leichten bis mittelschweren akuten Infektionen (wie Rachen- oder Mandelentzündung und Bronchitis sowie bei unkomplizierten Blasenentzündungen)
- zur Behandlung von akutem infektbedingtem Aufflammen einer chronischen Bronchitis und chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD)
- zur Behandlung von akuter bakterieller Entzündung der Nasennebenhöhlen und akuter bakterieller Mittelohrentzündung, es sei denn, andere Antibiotika, die üblicherweise für diese Infektionen empfohlen werden, werden als ungeeignet erachtet (beispielsweise weil die nachgewiesenen Bakterien gegen diese Antibiotika resistent sind)
- zur Vorbeugung von Durchfallerkrankungen bei Reisen in subtropische und tropische Länder oder von wiederkehrenden Infektionen der unteren Harnwege (Blasenentzündung).
- zur Behandlung von nicht-bakteriellen Infektionen oder Entzündungen, wie die nicht-bakterielle (chronische) Entzündung der Prostata.
- für Patienten, die zuvor schwerwiegende Nebenwirkungen mit einem Chinolon- oder Fluorchinolon-Antibiotikum hatten.
Besondere Vorsicht ist darüber hinaus geboten bei der Verschreibung für ältere Menschen, Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Patienten mit Organtransplantaten und solchen, die gleichzeitig mit Kortison-Präparaten behandelt werden, da bei diesen Patienten das Risiko einer Sehnenentzündung und Sehnenruptur erhöht sein kann. Die gleichzeitige Anwendung von Kortison-Präparaten mit Fluorchinolonen sollte vermieden werden.
Die Ärzte werden des Weiteren aufgefordert, Ihren Patienten zu empfehlen, die Behandlung mit einem Fluorchinolon-Antibiotikum sofort zu beenden bei den ersten Anzeichen einer schwerwiegenden Nebenwirkung wie Sehnenentzündung und Sehnenruptur, Muskelschmerzen, Muskelschwäche, Gelenkschmerzen, Gelenkschwellungen, peripherer Neuropathie und vom zentralen Nervensystem ausgehenden Beeinträchtigungen und sich zur weiteren Beratung an Ihren Arzt zu wenden.
Was ist zu tun?
Wenn Sie an einer bakteriellen Infektion leiden und Ihnen nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung ein Fluorchinolon-Antibiotikum verordnet wurde, sollten Sie auf mögliche Symptome Ihres Bewegungsapparats und Ihres Nervensystems achten. Das Auftreten jeglicher Anzeichen der oben beschriebenen Beschwerden ist unbedingt ernst zu nehmen. Sie sollten das Antibiotikum dann umgehend absetzen und unverzüglich Ihren Arzt darüber informieren!
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung
Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Behandlung mit einem Fluorchinolon-Antibiotikum oder mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die Rote-Hand-Briefe wirkungsvoll zeigen.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.