Über 3 Millionen Patienten pro Jahr
Im Interview kritisiert Dr. Stefan Pieper, dass diese Art von Antibiotika immer noch die erste Wahl ist, auch bei weniger schwerwiegenden Krankheitsfällen: “Es ist bekannt, dass diese Medikamente in riesigen Mengen eingesetzt werden, und das auch bei banalen Infekten.” Darunter fallen beispielsweise Harnwegsinfektionen oder Atemwegsinfekte (z.B. Sinusitis, Bronchitis). Auf Basis von AOK-Daten seien das zwischen 3,8 Millionen (2017) und 3,2 Millionen (2018) Patienten pro Jahr, die Fluorchinolone einnehmen.
Die Praxis zeigt: einige seiner Kollegen verschreiben ein Antibiotikum viel zu schnell, obwohl der Körper manche Infektionen auch selbst bekämpfen kann. Laut einer Studie wurden etwa zwei drittel der Patienten mit einer unkomplizierten Harnwegsinfektion auch ohne Behandlung wieder beschwerdefrei.
Wie schwerwiegend sind die Nebenwirkungen wirklich?
Dr. Pieper, der jetzt die erste deutschsprachige Arbeit über Nebenwirkungen unter Fluorchinolonen veröffentlicht hat, sieht auch mangelnde Aufklärung als Problem an. Viele Ärzte verordneten das Medikament unkritisch und seien sich der schweren Nebenwirkungen dieser Präparate gar nicht bewusst.
Die Nebenwirkungen betreffen vor allem die folgenden vier Bereiche:
1. Störung der Synthese von Kollagen, das dem Körper Festigkeit und Spannung verleiht. Wenn es hier Probleme gibt, entstehen leicht Schädigungen an den Sehnen, ebenso kann es zu Penisbrüchen, Netzhautablösungen, Leistenbrüchen oder einer Aufspaltung der Wandschichten der Hauptschlagader (Aortendissektionen) und zu Wundheilungsstörungen kommen.
2. Erschöpfung, die häufig in ein Chronic-Fatigue-Syndrom übergeht.
3. Nervenschädigungen und Nervenschmerzen vom Kribbeln bis zu schlimmen brennenden Schmerzen,Magenlähmung (Gastroparese), Störung der Nährstoffaufnahme im Darm (Resorptionsprobleme, Malabsorptionssyndrom). Die Darmflora wird, wie bei allen anderen Antibiotika, ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.
4. Übererregbarkeit im Gehirn: die Fluorchinolone setzen an Rezeptoren im Gehirn an und lösen dort nervöse Unruhe, Schlafstörungen und vor allem auch Angst- und Panikattacken aus. Selbstmordgedanken und Suizid als Folge sind möglich.
Die Anzahl der Betroffenen ist hoch – wie hoch, ist noch immer nicht bekannt. Man geht von schätzungsweise mindestens 40.000 Patienten aus. Dr. Pieper spricht sogar von fast 400.000 Betroffenen und 1500 Todesfällen. Aber nicht nur die gesundheitlichen Schädigungen sind dramatisch; sie haben auch gravierende soziale Folgen: die Betroffenen sind lange Zeit arbeits-, teils sogar dauerhaft berufs- oder erwerbsunfähig und erhalten keine Entschädigungen durch die Krankenkassen.
Für sie gibt es das Online-Forum (fluorchinolone-forum.de), das zum Austausch auch von Dr. Pieper empfohlen wird. Hier finden Sie erste Einschätzungen und Therapiepläne für den Fall, dass Sie bei sich Fluorchinolon-Nebenwirkungen vermuten.
Melden Sie Ihre Nebenwirkungen bei Antibiotika!
Vorfälle wie diese zeigen, wie wichtig das Melden von Nebenwirkungen ist. Auch Sie können einen wichtigen Beitrag zur Arzneimittelsicherheit leisten! Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Anwendung von fluorchinolonhaltigen Antibiotika oder anderen Medikamenten, sollten Sie diese melden. Denn oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die Rote-Hand-Briefe wirkungsvoll zeigen. Der Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden.
Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.