Jedes dritte neue Medikament ist nicht sicher

Warum manche Nebenwirkungen erst nach Ihrer Zulassung erkannt werden, erfahren Sie hier.

32 Prozent der Medikamente zeigen in den ersten 12 Jahren schwerwiegende Nebenwirkungen

Die renommierte US- Fachzeitschrift Jama veröffentlichte jetzt das Ergebnis einer Langzeitstudie an 222 in den USA zugelassenen Medikamenten. Es zeigten 32 Prozent der Medikamente in den ersten 12 Jahren nach ihrer Zulassung Auffälligkeiten. In den USA werden in den meisten Fällen die Beipackzettel überarbeitet. Jede Nebenwirkung muss dort neu aufgenommen und mit entsprechendem Warnhinweis eingearbeitet werden. Das führte in den ersten drei bis sechs Jahren nach Zulassung dazu, dass 68 Medikamente für manche Patienten nur eingeschränkt oder gar nicht mehr geeignet sind. Drei Medikamente wurden ganz vom Markt genommen: Es bestand ein hohes Risiko von bedrohlichen Herz-Kreislauf-Zuständen bzw. lebensgefährlichen Virusinfektionen im Gehirn. Betroffen sind vor allem Psychopharmaka und sogenannte Biologika: Letztere Stoffe werden durch Gentechnologie in lebenden Zellen hergestellt.

Auch in Deutschland verwendete Medikamente sind in der US-Studie genannt wie das Antibiotika Fluorchinolon. Dieses fiel negativ auf durch neu beobachtete Nebenwirkungen wie Sehnenscheidenentzündung bzw. Nervenschädigungen. Die Situation in Deutschland ist, wie Professor Gerd Glaeske betont, durchaus ähnlich. Glaeske ist Leiter der Expertengruppe für Arzneimittel bei Stiftung Warentest. Er berichtet auch von Verträglichkeitsproblemen bei 30 Prozent der in Deutschland seit 2014 zugelassenen 32 neuen Medikamente:
So informieren betroffene Pharmakonzerne durch einen sogenannten Rote-Hand-Brief bei sechs Präparaten über neu festgestellte schwerwiegende Nebenwirkungen. Für fünf weitere Medikamente wurden Blaue-Hand-Briefe ausgegeben. In diesem milderen Warnhinweis werden Ärzte und Apotheker über neu formulierte Beipackzettel mit veränderten Anwendungshinweisen informiert und mit Schulungs- und Informationsmaterial versorgt.

Die Zulassung von Medikamenten hat Schwachstellen

Die langjährigen Kontrollverfahren zur Medikamentenzulassung haben an mindestens drei Stellen Schwachpunkte:

1. Medikamente lassen sich in den klinischen Vorstudien nicht an allen Personengruppen testen. Dies dient dem Schutz der Probanden. So werden Medikamente nicht an älteren und mehrfach erkrankten Menschen getestet. Auch sind aus Sicherheitsgründen proportional weniger Frauen als Männer unter den Testpersonen. Dies grenzt die Vorhersagbarkeit von Nebenwirkungen ein und erklärt, warum diese sich erst nach der Zulassung beschreibbar abbilden.

2. Die Dauer der konkreten klinischen Tests vor der Zulassung der Medikamente ist mit maximal sechs Monaten kurz bemessen. Eine Nebenwirkung, die erst nach über einem halben Jahr der Einnahme auftritt, kann so vor der Zulassung als Medikament nicht entdeckt werden.

3. Kritisch wird betrachtet, dass Arzneimittelhersteller oft über beschleunigte Antragsverfahren ein Medikament auf den Markt bringen können. Das verschärft die beiden beschriebenen Punkte noch mehr.

Arzneimittelsicherheit kostet einen forschenden Pharmahersteller natürlich viel Geld. Fairerweise sei gesagt, dass nicht nur materielle, sondern auch ethische Gründe Motive für Eilverfahren sind: Wenn die Hoffnung besteht, mit einem neuen Präparat verzweifelten und kaum behandelbaren Menschen helfen zu können, kann ein beschleunigtes Zulassungsverfahren im Einzelfall gerechtfertigt sein. Bei allem dürfen die Arzneimittelsicherheit und das Vertrauen von Patienten in ihre Medikamente nicht überstrapaziert werden. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, dass jede Nebenwirkung sofort gemeldet wird, um das Risiko eines Medikaments jederzeit richtig bewerten zu können.

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