Rote-Hand-Briefe: Was ist das?

Zum Zeitpunkt der Zulassung ist das Sicherheitsprofil eines  Arzneimittels noch nicht vollständig bekannt. 

Ein Mechanismus der Arzneimittelüberwachung sind die sogenannten Rote-Hand-Briefe. Um was es geht, wie sie entstehen und weshalb sie so wichtig sind, lesen Sie hier.

Auch noch 12 Jahre nach der Zulassung sind nicht alle Nebenwirkungen eines Medikaments bekannt

Warum noch nicht alle Nebenwirkungen bekannt sind, obwohl das Arzneimittel in der Apotheke im Regal zum Verkauf angeboten wird, hat verschiedene Gründe:

Beispielsweise werden nicht alle Patientengruppen in Zulassungsstudien berücksichtigt – Kinder und schwangere Frauen sind in der Regel von der Teilnahme an klinischen Studien ausgeschlossen.

Manche Studien haben eine auf nur 6 Monate begrenzte Laufzeit, bevor das Medikament auf den Markt kommt. Zu wenig Zeit, um alle Risiken zu erfassen. Lediglich eine Risiko-Nutzen-Kalkulation kann hier gemacht werden.

Daher werden viele Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen eines Arzneimittels erst später, manchmal erst Jahre nach der Marktzulassung bekannt, wenn es von sehr vielen Patienten aus allen Bevölkerungsgruppen angewendet wird.

Neue Erkenntnisse hinsichtlich der Anwendung eines Arzneimittels erfordern natürlich einen unmittelbaren Handlungsbedarf. Sie müssen Fachkreisen schnellstmöglich mitgeteilt werden, um das Risiko von Gesundheitsschäden bei Patienten so gering wie möglich zu halten oder ganz zu vermeiden.

Ein Instrument, das angewendet wird, um solche Risiken und entsprechende Gegenmaßnahmen zu kommunizieren, sind Informationsschreiben, die mit dem Aufdruck einer Roten Hand als Warnsignal gekennzeichnet und deshalb unter dem Namen “Rote-Hand-Briefe” bekannt sind.

Die Idee, die dahinter steht: Wozu dienen Rote-Hand-Briefe?

Auch Ihnen ist sicherlich der Contergan-Skandal ein Begriff: ein millionenfach verkauftes Beruhigungsmittel führte bei Anwendung während der Schwangerschaft zu schweren Missbildungen vor allem der Arme und Beine beim Fötus. Als dieser ursächliche Zusammenhang im Jahre 1961 erkannt wurde, wurde nach Lösungen gesucht, um solche Katastrophen künftig zu verhindern.

Was steht im Arzneimittelgesetz?

Das war die Geburtsstunde der Arzneimittelsicherheit oder Pharmakovigilanz sowie der Arzneimittelzulassung. Ein Arzneimittelgesetz (AMG) wurde erlassen – mit strengen Richtlinien.

Es schreibt vor, …

  • …wie die Pharmaunternehmen Studien zum Nachweis nicht nur der Wirksamkeit, sondern auch der Verträglichkeit neuer Wirkstoffe durchzuführen haben,
  • …was man unter einer Nebenwirkung versteht
  • …wie diese der nationalen Überwachungsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM bzw. dem Paul-Ehrlich-Institut PEI – zuständig für Impfstoffe – sowie mittlerweile auch international der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, zu melden ist
  • …und wie die medizinischen Fachkreise (Ärzte, Apotheker) sowie die Patienten hinsichtlich möglicher Neben- und Wechselwirkungen zu informieren sind.

Außerdem muss jede Änderung der Produktinformation, die nach Erteilung der Zulassung für ein Arzneimittel vorgenommen werden soll, vom pharmazeutischen Unternehmer (Hersteller) bei der zuständigen Behörde beantragt und von ihr überprüft und genehmigt werden.

Mit den Rote-Hand-Briefen kommt die pharmazeutische Industrie also ihrer Verpflichtung nach, neu entdeckte Arzneimittelrisiken in Abstimmung mit der Behörde den entsprechenden Fachkreisen – nämlich Arzt, Apothekern und anderem medizinischen Fachpersonal – zeitnah mitzuteilen.

Sie sind gesetzlich verankert. So heißt es im Arzneimittelgesetz: “Der pharmazeutische Unternehmer ist verpflichtet, die Änderungen der Fachinformation, die für die Therapie relevant sind, den Fachkreisen in geeigneter Form zugänglich zu machen.” (§11 a AMG). 

Rote-Hand-Briefe – ein wichtiges Kommunikationsmittel!

Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit und /oder Sicherheit eines Arzneimittels  können also nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden, sondern müssen allen Beteiligten zugänglich gemacht und kommuniziert werden.

Wie oben bereits erwähnt, erkennt man solche Meldungen an dem einheitlichen und verpflichtenden Symbol der Roten Hand auf Briefumschlägen und dem Schreiben selbst. 

In den Rote-Hand-Briefen werden die folgenden Informationen kommuniziert:

  • Inhalte, die noch nicht in der bisherigen Produktinformation enthalten sind,
  • eine Änderung des Verschreibungsverhaltens der Ärzte erfordern und/oder
  • einen anderen unmittelbaren Einfluss auf die Anwendung des Arzneimittels und Überwachung der damit behandelten Patienten haben. 

Ein Überblick über die letzten Jahre zeigt: Rote-Hand-Briefe sind ein wichtiges Mittel zur Kommunikation von Arzneimittelrisiken zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit und zeigen die Wichtigkeit der kontinuierlichen Überwachung von Medikamenten.

Übersicht der insgesamt erschienen Rote-Hand-Briefe:

  • 2015: 17 Rote-Hand-Briefe
  • 2016: 24 Rote-Hand-Briefe
  • 2017: 21 Rote-Hand-Briefe
  • 2018: 39 Rote-Hand-Briefe

Rote-Hand-Briefe – nur für Ärzte und Apotheker?

Alle für Sie als Patient relevanten Rote-Hand-Briefe übersetzen wir seit 2018 für Sie in eine patienten-freundlichere Sprache: Wir erläutern zusätzlich Zusammenhänge, Fachbegriffe und ergänzen Informationen, die für das Verständnis wichtig sind.

Diese „Übersetzungen“ finden Sie hier: Warnhinweise zu Medikamenten.

Melden Sie Ihre Nebenwirkungen!

Ihre Mitarbeit ist wichtig! Selbst Jahre nach der Zulassung sind längst nicht alle Nebenwirkungen bekannt. Wann immer Sie den Verdacht haben, an Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen unter der Einnahme von Medikamenten aller Art zu leiden, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zukünftig zu aktualisieren, wie etwa die Rote-Hand-Briefe wirkungsvoll zeigen.

Über Nebenwirkungen.de haben Sie die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung mit einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei. Davon profitieren auch andere Patienten und sind Ihnen dankbar

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