Was sind Drug Safety Mails?
Drug Safety Mail oder zu Deutsch: Arzneimittel-Sicherheitsbrief ist der Name des Newsletters der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Sie werden regelmäßig veröffentlicht und enthalten – ähnlich wie die Rote-Hand-Briefe – aktuelle Informationen zu möglichen Risiken von Medikamenten.
Um Ihnen die bestmögliche medizinische Aufklärung zu bieten, möchten wir Ihnen auch diese Informationen in einer patienten-freundlicheren Sprache zugänglich machen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung der Arzneimittelsicherheitsinformation der Arzeimittelkommission (AMK) vom 21. Oktober 2021 zu Phenytoin-haltigen Arzneimitteln.
Worum geht es?
Auf Empfehlung des Ausschusses für Risikobewertung (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) werden die Produktinformationen Phenytoin-haltiger Arzneimittel aktualisiert. Die Änderungen betreffen Hinweise zur Anwendung bei Frauen im gebärfähigen Alter, zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und zu speziellen Nebenwirkungen.
Phenytoin wird angewendet zur Vorbeugung und Behandlung von Krampfanfällen (Epilepsie) und zur Behandlung von Schmerzzuständen, die durch Nervenerkrankungen hervorgerufen werden (sog. neuropathische Schmerzen wie z.B. eine Trigeminus-Neuralgie).
Phenytoinhaltige Präparate in Deutschland sind Phenhydan des Herstellers Desitin Arzneimittel GmbH sowie Phenytoin AWD des Herstellers TEVA.
- Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen und Wachstumsstörungen beim Embryo wie Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, Herzfehler, Minderwuchs, Mikrozephalie (verkleinerter Schädel) mit geistiger Behinderung aufgrund einer Entwicklungsstörung des Gehirns. Die kritische Phase ist dabei der 20. bis 40. Tag der Schwangerschaft (4. bis 7. Woche). Da Phenytoin zur Wirkstoffgruppe der Hydantoine gehört, wird diese Form der embryonalen Schädigung auch als Hydantoin-Syndrom bezeichnet.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen bei Einnahme von Phenytoin eine verlässliche Methode zur Schwangerschaftsverhütung anwenden. Ein Schwangerschaftstest vor Beginn der Behandlung mit Phenytoin ist empfehlenswert.
- Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung (30%) ist Träger von Genvarianten eines bestimmten Enzyms (Cytochrom P 450), das für den Abbau von Arzneimitteln benötigt wird. Die Genvarianten vermindern die Enzymaktivität, was einen verzögerten Abbau von bestimmten Arzneimitteln zur Folge hat. Bei diesen Menschen führt eine normale Medikamentendosierung zur Überdosis, weil mit jeder nachfolgenden Arzneimitteleinnahme mehr Wirkstoff aufgenommen wird als zuvor verstoffwechselt werden konnte.
Neben entzündungshemmenden Schmerzmitteln (NSAR wie Ibuprofen, Diclofenac, Celecoxib, Naproxen), Angiotensin-2-Antagonisten (die Blutdrucksenker Losartan oder Irbesartan aus der Gruppe der “Sartane”), Medikamenten zur Senkung eines erhöhten Blutzuckerspiegels (Antidiabetika wie Glibenclamid), Blutgerinnungshemmer (Antikoagulantien wie Warfarin und Phenprocoumon/Marcumar) oder auch Valproat (siehe weiter unten) betrifft das auch den Abbau von Phenytoin.
Es besteht bei diesen Menschen durch die Einnahme von Phenytoin ein erhöhtes Risiko für schwere, sogar lebensbedrohliche Hautreaktionen (Stevens-Johnson-Syndrom = SJS oder Lyell-Syndrom bzw. toxische epidermale Nekrolyse = TEN, das auch als Syndrom der abgebrühten Haut bezeichnet wird) und ein Risiko für eine erhöhte Toxizität (“Giftigkeit”), d.h. die Wahrscheinlichkeit, Nebenwirkungen (insbesondere dosis-abhängige) zu erleiden, steigt erheblich.
- Unter der Einnahme von Phenytoin wurde eine Aplasie der roten Blutkörperchen beobachtet, d.h. es werden keine roten Blutkörperchen im Knochenmark mehr gebildet. Die Erkrankung wird als pure red cell aplasia (PRCA) bezeichnet.
Rote Blutkörperchen enthalten den Blutfarbstoff Hämoglobin, der Sauerstoff bindet und ihn bei der Durchblutung des Körpers an die Zellen abgibt. Ein Mangel oder gar ein Fehlen der roten Blutkörperchen führt zu einer bedrohlichen Minderversorgung der Organe mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff und im schlimmsten Fall zum Organversagen aufgrund “inneren Erstickens”, obwohl die Atmung in der Lunge nicht beeinträchtigt ist.
- Es besteht bei gleichzeitiger Gabe von Phenytoin und Valproat (Valproinsäure) – insbesondere, aber nicht nur bei Menschen mit der oben beschriebenen Genvariante des Enzyms Cytochrom P 450 – ein erhöhtes Risiko für die Valproat-assoziierte Hyperammonämie:
Unter der Behandlung mit valproinsäurehaltigen Präparaten kann es zu einem Anstieg des Ammoniakserumspiegels (Hyperammonämie) kommen. Sie äußert sich mit Symptomen wie Schläfrigkeit, Teilnahmslosigkeit (Apathie), Erbrechen und führt schließlich zu Bewusstseinsstörungen und Koma. Bei gleichzeitiger, zusätzlicher Einnahme von Phenytoin erhöht sich die Gefahr dieser Valproat-Nebenwirkung.
Valproat wird wie Phenytoin zur Vorbeugung und Behandlung epileptischer Anfälle eingesetzt. Bekannte Arzneimittelnamen sind Convulex, Depakine, Ergenyl, Orfiril und Valpro oder Valproat.
- Die Einnahme von Phenytoin kann auch zu einer Abschwächung der Wirkung bestimmter anderer Medikamente führen, weil Phenytoin deren Abbau beschleunigen kann, sodass es bei normaler Dosierung zu einer Unterdosis kommt. Hierzu zählen Lacosamid, Ticagrelor und die direkten oralen Antikoagulanzien:
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- Lacosamid (Handelsname Vimpat) ist ebenfalls ein Antiepileptikum.
- Ticagrelor (Handelsname Brilique) ist ein Thrombozytenaggregationshemmer. Ähnlich wie Clopidogrel oder auch Acetylsalicylsäure verhindert es ein Zusammenklumpen der Blutplättchen (Thrombozyten) und dient der Vorbeugung von Thrombosen (Blutgerinnseln).
- Direkte orale Antikoagulantien (DOAK, oder auch NOAK – neue orale Antikoagulantien) hemmen die Blutgerinnungsfaktoren ähnlich wie Warfarin oder Phenprocoumon (Marcumar), jedoch über einen anderen Wirkmechanismus. Während Warfarin und Phenprocoumon durch die gleichzeitige Einnahme von Phenytoin in ihrer Wirkung verstärkt werden, also eine zu intensive “Blutverdünnung” mit erhöhter Blutungsgefahr herbeigeführt wird, verlieren die DOAK- / NOAK-Substanzen (Dabigatran = Pradaxa, Rivaroxaban = Xarelto, Apixaban = Eliquis) an Wirksamkeit, wodurch die gewünschte “Blutverdünnung” ausbleibt. Dann sind Patienten nicht mehr ausreichend vor dem Risiko der Entstehung von Blutgerinnseln und Embolien geschützt.
Was ist zu tun?
Wenn Sie bereits mit einem Phenytoin-haltigen Medikament behandelt werden, lesen Sie nochmals aufmerksam die Packungsbeilage und überprüfen Sie im Falle einer Einnahme noch anderer Medikamente, ob diese hier im Hinblick auf mögliche Wechselwirkung genannt werden.
Wenn Sie eine Frau im gebärfähigen Alter sind, achten Sie auf die Anwendung einer zuverlässigen Methode zur Empfängnisverhütung. Dazu gehören alle Kontrazeptiva auf Hormonbasis, die entweder ein Östrogen und ein Gestagen in Kombination enthalten oder auch nur ein Gestagen (klassische Antibabypille, Mikropille, Minipille, Dreimonatsspritze, Hormonpflaster, Verhütungsstäbchen, Vaginales Freisetzungssystem = Vaginalring; Hormonspirale); weiterhin als sichere Methode gilt die Kupfer-spirale, ebenso die Kupferkette bzw. der Kupferball).
Barriere-Methoden wie Kondom, Portiokappe, Diaphragma, spermizides Gel oder Schaum sind angesichts des Missbildungsrisikos für den Embryo nicht als ausreichend sicher zu bewerten; noch weniger verlässlich sind Basaltemperaturmessung oder die Begutachtung der Viskosität des Zervixschleims zur Feststellung der fruchtbaren bzw. unfruchtbaren Tage.
Wenn Sie neu mit Phenytoin behandelt werden, sollten Sie vor Einnahmebeginn sicherheitshalber einen Schwangerschaftstest durchführen, vor allem wenn Sie bislang noch keine zuverlässige Methode zur Empfängnisverhütung angewendet haben.
Bei bestehendem Kinderwunsch sprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt, um eine angemessene Behandlung Ihres Krampfleidens bzw. Ihrer neuropathischen Schmerzzustände zu finden, die einen sich entwickelnden Embryo keinen Schaden zufügt.
Gelegentliche Bestimmungen des Blutbildes, insbesondere der Anzahl der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) sind während der Einnahme eines Phenytoin-haltigen Arzneimittels wichtig, um die Entwicklung einer Anämie (Blutarmut) frühzeitig erkennen zu können.
Die Symptome einer beginnenden Anämie sind unspezifisch: schnellere Ermüdbarkeit, Leistungsknick, Atemnot schon bei mäßiger körperlicher Anstrengung; Blässe, Schwindelgefühl.
Achten Sie auf Hautveränderungen mit Blasenbildung, nicht selten begleitet von Juckreiz und Fieber und einem allgemeinen Krankheitsgefühl und wenden Sie sich ggf. zeitnah an Ihren Arzt.
Wenn Sie Blutverdünner vom Typ Phenprocoumon/Warfarin einnehmen müssen und Ihnen ein Phenytoin-haltiges Medikament zusätzlich verordnet wurde, achten Sie insbesondere in den ersten Wochen auf Ihren Quick-Wert oder den INR-Wert.
Bei Einnahme von direkten bzw. neuen oralen Antikoagulantien (DOAKs / NOAKs) ist die Überwachung der Gerinnungsfähigkeit Ihres Blutes schwierig, da die Bestimmung von Quick- oder INR-Wert bei diesen Medikamenten keine zuverlässige Aussage über den Grad der Blutverdünnung ermöglicht.
Wenn Sie zusätzlich zu Phenytoin auch ein Valproat-haltiges Arzneimittel zur Behandlung Ihrer Epilepsie einnehmen müssen, bitten Sie Ihren Arzt um die Überwachung Ihres Ammoniakspiegels im Blut und wenden Sie sich an ihn, wenn Sie selbst oder ein Angehöriger/Freund Auffälligkeiten Ihres geistigen Wachheitsgrads bemerken.
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!
Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Behandlung mit einem Phenytoin-haltigen Arzneimittel oder auch mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie das Instrument der **Rote-Hand-Briefe** und der Arzneimittelsicherheitsinformationen wirkungsvoll zeigt.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.
Quellen: AkdÄ Newsletter vom 21.10.2021