Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich?
Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen. So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung des Rote-Hand-Briefes vom 04. Februar 2021 zu Alkindi (Hydrocortisongranulat zur Entnahme aus Kapseln).
Worum geht es?
In Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informiert der Hersteller Diurnal Europe B.V. über die Gefahr einer Unterdosierung nach Umstellung von zerkleinerten oder als Rezeptur hergestellten oralen Hydrocortison-Formulierungen; diese kann zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustands (“adrenale Krise”) infolge akuter Nebenniereninsuffizienz führen.
Das Wort „Nebenniereninsuffizienz“ bedeutet „Unterfunktion der Nebennieren“ mit einem Mangel an den von den Nebennieren produzierten Hormonen.
Die Nebenniere ist eine paarige Hormondrüse. Die Nebennieren befinden sich beim Menschen auf den oberen Polen der Nieren. Außerdem besteht die Nebenniere aus einer äußeren Schicht, der Nebennierenrinde, die das innenliegende Nebennierenmark umgibt. Die Nebennierenrinde produziert die sogenannten Steroidhormone wie Cortison, Aldosteron und Sexualhormone und beeinflusst den Wasser-, Mineralstoff- und Zuckerhaushalt. Das Nebennierenmark im inneren Teil der Drüse bildet die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin. Diese werden auch als „Stress“-Hormone bezeichnet, und regulieren u.a. den Blutdruck. Eine Unterfunktion der Nebenniere kann angeboren oder die Folge anderer Erkrankungen sein. Sie tritt bei ungefähr 40 von 100.000 Menschen auf. Der Mangel in der körpereigenen Hormonproduktion muss dann durch medikamentöse Zufuhr (Hormonersatz-Therapie) ausgeglichen werden. Insbesondere zur Behandlung kleiner Patienten werden häufig lösliche Hydrocortison-Tabletten zerkleinert und in Wasser/Flüssigkeit aufgelöst verabreicht.
Seit Februar 2018 steht ein Hydrocortison-Granulat in Kapselform unter dem Arzneimittelnamen Alkindi zur Ersatztherapie bei Nebenniereninsuffizienz für Neugeborene, Kinder und Jugendliche (ab der Geburt bis unter 18 Jahre) zur Verfügung. Es ist in Dosierungen von 0,5mg, 1 mg, 2 mg und 5 mg Hydrocortison je Kapsel verfügbar.
Die Kapsel wird geöffnet und das darin befindliche Granulat entweder direkt auf die Zunge gegeben oder mit einem Löffel verabreicht bzw. auf eine kleine Menge weicher kühler Nahrung (Joghurt, Brei) gestreut und zeitnah gefüttert. Bei der Umstellung auf Alkindi-Granulat kann eine akute Nebenniereninsuffizienz auftreten. Der Grund dafür ist, dass bei zerkleinerten oder als Rezeptur hergestellten, oralen Hydrocortison-Formulierungen das Risiko einer ungenauen Dosierung besteht, die von der exakten Dosis des Alkindi-Granulats abweicht.
Um eine adrenale Krise nach Umstellung auf Alkindi-Granulat zu vermeiden, sollte den Betreuungspersonen besonders angeraten werden, das Kind in den ersten Wochen auf Symptome einer Nebenniereninsuffizienz wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Temperaturschwankungen und Erbrechen zu beobachten.
Hintergrund der Sicherheitsbedenken
Bei der Umstellung von löslichen Hydrocortison-Tabletten auf Alkindi-Granulat wurde bei einem Säugling ein Fall von schwerer Nebenniereninsuffizienz berichtet. Bei dem Kind trat rund 48 Stunden nach Beginn der Behandlung mit Alkindi eine adrenale Krise auf. Das Kind wies kein erkennbares medizinisches Risiko für eine adrenale Krise auf und es lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Alkindi falsch verabreicht worden war. Außerdem bestanden auch keine Hinweise auf eine möglicherweise schlechte Resorption des Hydrocortisons im Magen-Darm-Trakt.
Aufgrund der geringen Löslichkeit von Hydrocortison in Wasser besteht die Gefahr einer uneinheitlichen Dosierung. Bei sehr jungen Kindern ist die Umstellung auf andere Darreichungsformen von Hydrocortison schwierig. Deshalb kann es bei sehr jungen Kindern gerade durch die Verwendung von zerkleinerten oder als Rezeptur hergestellten Hydrocortison-Formulierungen zu einer uneinheitlichen Dosierung kommen.
Bei der Umstellung von Kindern von herkömmlichen, zerkleinerten oder als Rezeptur hergestellten, oralen Hydrocortison- Formulierungen auf Alkindi-Granulat sollten Betreuungspersonen das Kind genau beobachten und ihm ggf. zusätzliche Alkindi-Dosen gemäß der Produktinformation verabreichen, wenn Symptome einer Nebenniereninsuffizienz wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Temperaturschwankungen oder Erbrechen auftreten. Zudem sollten die Betreuungspersonen und Patienten ärztlichen Rat einzuholen, wenn solche Symptome auftreten.
In den ersten Wochen nach der Umstellung wird eine engmaschige klinische Überwachung der Patienten empfohlen. Dies gilt umso mehr bei sehr jungen Kindern, die ihre Beschwerden die Symptome einer Nebenniereninsuffizienz sein können, noch nicht mitteilen können. Wenn ein Kind in der ersten Woche nach der Umstellung von herkömmlichen, zerkleinerten oder als Rezeptur hergestellten, oralen Hydrocortison- Formulierungen auf Alkindi (Hydrocortison-Granulat zur Entnahme aus Kapseln) zusätzliche Dosen benötigt, sollte eine Erhöhung der täglichen Alkindi-Dosis in Betracht gezogen werden.
Die Produktinformation für Alkindi wird entsprechend diesen neuen Information angepasst.
Was ist zu tun?
Wenn Ihr Säugling oder Kleinkind an Nebenniereninsuffizienz leidet und von einer herkömmlichen, zerkleinerten oder als Rezeptur hergestellten, oralen Hydrocortison Formulierung auf Alkindi-Granulat umgestellt wurde, sollten Sie als Betreuungsperson in den ersten Wochen insbesondere auf folgende Symptome achten:
- Müdigkeit
- Kopfschmerzen
- Temperaturschwankungen
- Erbrechen
Diese Symptome können Anzeichen eines unzureichenden Hormonersatzes mit Nebenniereninsuffizienz sein, die zu einer bedrohlichen adrenalen Krise führen können. Deshalb sollten Sie nicht zögern, dem Kind zusätzliche Dosen Alkindi®-Granulat gemäß der Produktinformation zu verabreichen und sofort ärztlichen Rat Ihres behandelnden Kinderarztes / Kinderendokrinologen einzuholen. Dieser kann nach Abklärung ggf. vorübergehend oder auch längerfristig eine höhere Dosierung von Alkindi-Granulat verordnen.
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!
Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Behandlung mit Alkindi-Granulat oder auch mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die **Rote-Hand-Briefe** wirkungsvoll zeigen.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.
Quellen: RHB