Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich?
Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen.
So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung des Rote-Hand-Briefes zu Covid-19 Vaccine Janssen, den der Zulassungsinhaber Janssen-Cilag International in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und dem Paul-Ehrlich-Institut PEI am 13. Oktober 2021 veröffentlicht hat, um auf das Risiko einer Verminderung der Blutplättchen (Thrombozyten) als Folge einer Autoimmunreaktion auf den Impfstoff (Immunthrombozytopenie, ITP) hinzuweisen. Diese Thrombozytopenie kann verbunden sein mit einem erhöhten Blutungsrisiko; sie kann aber auch mit der Entstehung von Blutgerinnseln (Thrombosen) einhergehen, die mit dem Blutstrom fortgespült werden können als lebensbedrohliche Embolie (venöse Thromboembolie, VTE).
Vor diesem Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) hat der Hersteller bereits am 27. April 2021 in einem Rote-Hand-Brief gewarnt, den auch wir für Sie aufbereitet haben (hier der Link zum RHB)
Worum geht es?
COVID-19 Vaccine Janssen ist zugelassen zur aktiven Immunisierung von Erwachsenen zur Vorbeugung gegen COVID-19. Der Hersteller Janssen-Cilag ist eine Tochter des US-Unternehmens Johnson und Johnson (J&J). Deshalb wird der Impfstoff auch als „Johnson und Johnson-Impfstoff“ bezeichnet.
Sehr selten wurden Fälle von ITP nach Impfung mit COVID-19 Vaccine Janssen berichtet, in der Regel in den ersten vier Wochen nach Anwendung. Darunter waren Fälle mit tödlichem Ausgang, Fälle mit Thrombozytenwerten unter 20.000 pro Mikroliter Blut, teilweise verbunden mit Blutungen. Einige Patienten hatten schon eine ITP in ihrer medizinischen Vorgeschichte.
Selten wurden auch Fälle von VTE nach Impfung mit COVID-19 Vaccine Janssen beobachtet.
Hintergrund zu den Sicherheitsbedenken
Immunthrombozytopenie (ITP)
Obwohl in klinischen Studien kein Unterschied in der Häufigkeit von Thrombozytopenien bei Menschen, die mit COVID-19 Vaccine Janssen geimpft wurden, gegenüber der Kontrollgruppe, die ein Placebo erhalten hatte, zu beobachten war, spricht die Überprüfung von Meldungen nach der Markteinführung des Impfstoffs dafür, dass ITP eine unerwünschte Arzneimittelwirkung nach der Impfung mit COVID-19 Vaccine Janssen ist.
Die Analyse wesentlicher Fälle und der medizinischen Fachliteratur deutet darauf hin, dass Personen, die bereits eine ITP in ihrer medizinischen Vorgeschichte (Anamnese) hatten, nach der Impfung mit dem COVID-19 Vaccine Janssen ein erhöhtes Risiko für eine verminderte Thrombozytenzahl und eine symptomatische ITP haben könnten.
Bei Personen mit ITP in der Anamnese ist daher sowohl vor der Impfung das Risiko der Entwicklung niedriger Thrombozytenwerte zu bedenken als auch nach der Impfung eine Überwachung der Anzahl der Blutplättchen empfohlen.
Das medizinische Fachpersonal soll auf die Anzeichen und Symptome einer Thrombozytopenie achten. Die geimpften Personen sollen angewiesen werden, sofort einen Arzt aufzusuchen, wenn sie nach einigen Tagen spontane Blutungen und/oder Blutergüsse (Petechien) außerhalb des Verabreichungsortes der Impfung bemerken.
Personen, bei denen innerhalb von 3 Wochen nach der Impfung mit dem COVID-19 Vaccine Janssen eine Verminderung der Blutplättchen diagnostiziert wird, sollen aktiv auf Anzeichen einer Thrombose untersucht werden, um ggf. die Diagnose eines Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms (TTS) zu stellen, welches eine spezielle klinische Behandlung erfordert.
Venöse Thromboembolie (VTE)
Nach einer Impfung mit dem COVID-19 Vaccine Janssen wurden selten venöse Thromboembolien beobachtet. Dieser Umstand soll insbesondere bei Personen berücksichtigt werden, die grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für VTE aufweisen.
Während der Nachbeobachtungsphase einer klinischen Studie wurden venöse thromboembolische Ereignisse bei 26 von 21.894 (0,1 %) der Personen beobachtet, die COVID-19 Vaccine Janssen erhielten, und bei 9 von 21.882 (0,04%) der Personen, die ein Placebo erhalten hatten. Die Thromboembolien waren großteils in den ersten 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten. Die meisten dieser Patienten hatten mindestens einem prädisponierenden Risikofaktor für venöse Thromboembolien.
Prädisponierende Risikofaktoren sind
● Angeborene erhöhte Blutgerinnungsneigung (Thrombophilie)
● Venöse Thromboembolie in der Vorgeschichte
● Bösartige Erkrankungen
● Lebensalter über 60 Jahre
● Venöse Thromboembolie bei Verwandten 1. Grades
● Chronische Herzinsuffizienz oder Zustand nach einem Herzinfarkt
● Übergewicht (Body Mass Index, BMI über 30 kg/m2)
● Bettlägerigkeit, Immobilisation, Lähmungen
● Verwendung hormoneller Schwangerschaftsverhütungsmittel
● Hormonersatztherapie (HET) in den Wechseljahren
● Nikotinkonsum
● Schwangerschaft
Welche Rolle spielen die Thrombozyten bei der Blutgerinnung?
Die Blutplättchen (Thrombozyten) werden im Knochenmark gebildet. Bei gesunden Erwachsenen finden sich normalerweise 150.000 bis 400.000 Blutplättchen in einem Mikroliter (Abkürzung “μl”) Blut.
Thrombozyten sind – neben den sogenannten Blutgerinnungsfaktoren – Teil unseres Blutgerinnungssystems. Wenn ein Blutgefäß verletzt wird, lagern sich die Blutplättchen aneinander und vernetzen sich zu einem Pfropf, der die verletzte Gefäßwand abdichtet. Bei einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) ist diese Pfropfbildung erschwert und die Blutungszeit verlängert.
Ist hingegen die Anzahl der Blutplättchen erhöht oder – bei normaler Thrombozytenzahl – die Geschwindigkeit des Blutflusses verlangsamt (z.B. durch Verengungen/Stenosen in Blutgefäßen oder Blutrückstau bei Krampfadern), können sich Blutgerinnsel auch ohne Gefäßverletzung bilden. Im schlimmsten Fall werden diese Gerinnsel dann mit dem Blutstrom fortgespült und landen als Embolie beispielsweise in den Lungenarterien, ein unter Umständen lebensbedrohliches Ereignis! Um in solchen Fällen der Bildung von Blutgerinnseln vorzubeugen, werden Medikamente wie ASS (Acetylsalicylsäure, ASS) oder auch Clopidogrel verordnet, sogenannte Thrombozytenaggregationshemmer, die das Zusammenklumpen der Blutplättchen verhindern, indem sie deren Zelloberfläche glatt und geschmeidig machen.
Im Fall von Immunthrombozytopenien (ITP) wird die Anzahl der Blutplättchen durch eine Autoimmunreaktion vermindert, bei der Antikörper gebildet werden, die gegen die eigenen Thrombozyten gerichtet sind und deren Lebensdauer verkürzen. Da nicht im gleichen Maße neue Thrombozyten im Knochenmark nachproduziert werden können, verringert sich die Anzahl dieser im Blut. Dieser durch eine Autoimmunreaktion entstandene Mangel kann nicht nur mit einer nachvollziehbar erhöhten Blutungsgefahr, sondern paradoxerweise auch mit einem erhöhten Thromboserisiko, dem Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS), verbunden sein. Beide Gefahren sind für COVID-19 Vaccine Janssen bekannt.
Was ist zu tun?
Wenn Sie in der Vergangenheit schon einmal an einer Immunthrombozytopenie (ITP) gelitten haben, sollten Sie den Impfarzt vorab darüber informieren, damit schon mit der Wahl des geeigneten Impfstoffs das Risiko eines erneuten Auftretens einer immunologisch verursachten Verminderung der Blutplättchen verringert werden kann.
Eine Immunthrombozytopenie in Ihrer Vorgeschichte kann durch Infektionen der Atemwege oder des Magen-Darm-Trakts ausgelöst worden sein. In ursächlichem Verdacht stehen Viren wie EBV (Epstein-Barr-Virus, der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers) oder CMV (Cytomegalie-Virus). Auch das Bakterium Helicobacter Pylori, das bei Sodbrennen und Magenschleimhautentzündungen eine Rolle spielt, wird damit in Verbindung gebracht.
Wenn Sie bereits eine Impfung mit COVID-19 Vaccine Janssen erhalten haben, weil Sie vergessen hatten, Ihre medizinische Vorgeschichte einer ITP mitzuteilen, oder weil kein anderer Impfstoff beim Impftermin zur Verfügung stand, sprechen Sie Ihren Hausarzt auf das Risiko einer Thrombozytopenie an und bitten ihn, während der ersten 4 Wochen nach der Impfung Ihre Thrombozytenwerte zu überwachen.
Wenn Ihnen aufgrund Ihrer medizinischen Vorgeschichte Termine zur Überwachung der Thrombozytenwerte angeboten werden, nehmen Sie diese gewissenhaft wahr, um das Risiko sowohl einer Blutung als auch einer Thrombose so gering wie möglich zu halten und erste Anzeichen rechtzeitig zu erkennen:
Als Folge der Verminderung der Thrombozyten kann es zu einer erhöhten Blutungsneigung kommen: Punktförmige Blutungen (Petechien) in der Haut, vor allem der Beine, und Schleimhäute, da vor allem im Rachenbereich können Sie selbst gut beobachten.
Weitere Symptome können Nasenbluten oder eine verlängerte bzw. verstärkte Regelblutung sein. Bedrohlich wird die Erkrankung, wenn Gehirnblutungen oder Blutungen im Magen-Darm-Trakt auftreten.
Eine erhöhte Blutungsneigung ist meist erst bei Thrombozytenzahlen von weniger als 30.000 pro Mikroliter Blut zu erwarten. Bei Werten unterhalb von 10.000 pro Mikroliter können lebensbedrohliche Blutungen auftreten.
Wenn Sie einige Tage nach der Impfung mit COVID-19 Vaccine Janssen spontane Blutungen und/oder Blutergüsse (Petechien) außerhalb des Verabreichungsortes der Impfung bemerken, sollten Sie unverzüglich Ihren Arzt aufsuchen.
Und achten Sie bitte auch selbst auf Hinweise auf eine beginnende Lungenembolie oder das Vorhandensein einer Thrombose:
● Kurzatmigkeit (vor allem, wenn sie ohne körperliche Anstrengung auftritt)
● Schmerzen in der Brust, Stiche beim Einatmen
● Beinschwellung
● Bauchschmerzen
● Punktförmige Einblutungen (Petechien) oder Blutergüsse der Haut an anderen Stellen des Körpers als dem Oberarm, in den der Impfstoff eingespritzt wurde
● Anhaltende Kopfschmerzen
● Anhaltende Übelkeit, Brechreiz
● Anhaltender Schwindel
● Sehstörungen (z.B. Verschwommen-Sehen)
Wenn Sie an solchen Beschwerden leiden, gehen Sie bitte unverzüglich zum Arzt!
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!
Beobachten Sie Nebenwirkungen nach der Impfung mit COVID-19 Vaccine Janssen oder auch nach Einnahme /Behandlung mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die **Rote-Hand-Briefe** wirkungsvoll zeigen.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.
Quellen: RHB