Fingolimod (Gilenya) Zusammenhang mit Meningoenzephalitis durch VZV

Fingolimod (Gilenya) im Zusammenhang mit Meningoenzephalitis durch Varizella-zoster-Virus

Fingolimod (Gilenya) im Zusammenhang mit Meningoenzephalitis durch Varizella-zoster-Virus

Was sind Drug Safety Mails? 

Drug Safety Mail oder zu Deutsch: “Arzneimittel-Sicherheitsbrief” ist der Name des Newsletters der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Diese Briefe werden regelmäßig veröffentlicht und enthalten – ähnlich wie die Rote-Hand-Briefe – aktuelle Informationen zu möglichen Risiken von Medikamenten, aber auch zu Medizinprodukten. Um Ihnen die bestmögliche medizinische Aufklärung zu bieten, möchten wir Ihnen auch diese Informationen in einer patientenfreundlicheren Sprache zugänglich zu machen.

Liebe Patientin, lieber Patient, 

lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung der Arzneimittelsicherheitsinformation der Arzeimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vom 13. November 2020 zum Wirkstoff Fingolimod (Handelsname Gilenya).

Worum geht es?

Gilenya wird zur Behandlung einer hochaktiven schubförmig-remittierend verlaufenden Multiplen Sklerose als Monotherapie, d.h. als einziges Arzneimittel ohne die Gabe weiterer zusätzlicher MS-Medikamente bei erwachsenen Patienten und Kindern und Jugendlichen ab einem Alter von 10 Jahren unter bestimmten, medizinisch definierten Voraussetzungen eingesetzt. 

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft und dort Entzündungen hervorruft. Das führt dann zu einer Zerstörung der Isolierschicht um die Nervenfaser. Als Folge können die elektrischen Impulse nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Die Übertragung der Reize wird langsamer, und es können Empfindungs- und Bewegungsstörungen auftreten. Im Verlauf der Erkrankung können die Entzündungen die ungeschützten Nerven auch direkt angreifen und diese sogar zerstören. 

Als schubförmig remittierend bezeichnet man einen Krankheitsverlauf, bei dem klar abgegrenzte Schübe mit neuen neurologischen Symptomen auftreten oder sich bereits bestehende neurologische Symptome verschlimmern, die mehrere Tage oder Wochen andauern und dann an Intensität nachlassen oder sich vollständig auf das vorherige Niveau zurückbilden.

Die Dosierung für Erwachsene und Jugendliche mit einem Körpergewicht über 40 kg beträgt 0,5 mg Fingolimod pro Tag. Kinder und Jugendliche mit einem Gewicht unter (bis) 40 kg erhalten 0,25 mg Fingolimod als tägliche Dosis. Das Arzneimittel ist seit März 2011 zugelassen und unterliegt als neuartige Therapieform der besonderen Überwachung.

Der Arzneimittelkommission AkdÄ wurde der Fall einer 45-jährigen Patientin berichtet, die seit 20 Jahren an MS litt und seit etwa 5 Jahren mit Gilenya behandelt worden war, als sie an einer Meningoenzephalitis durch Varizella-zoster-Virus (VZV) schwer erkrankte. 

Fingolimod als Risiko für VZV-Infektionen

Die Erstinfektion mit dem VZ-Virus erfolgt in der Regel durch Tröpfcheninfektion in der Kindheit oder Jugend. In dieser Zeit verursacht es den typischen bläschenförmigen Hautausschlag (Kinderkrankheit „Windpocken“). Das Virus kann nach überstandener Erkrankung lebenslang im Nervensystem überdauern, indem es sich in die Endknoten (Ganglien) von Hirnnerven oder auch in Hinterwurzeln des Rückenmarks zurückzieht und in eine Art Winterschlaf begibt. Vor allem die Abwehrzellen des Immunsystems (sogenannte T-Lymphozyten) verhindern ein Erwachen der VZ-Viren aus diesem Winterschlaf. Die Abwehrzellen haben während der Erstinfektion das VZ-Virus als unerwünschten Eindringling gelernt diesen zu bekämpfen und haben diese immunologische Information an die nachfolgenden Generationen von T-Lymphozyten weitergeben.

Ab dem mittleren Lebensalter nimmt die T-Zell-vermittelte Immunität ab und das Risiko einer VZV-Reaktivierung steigt. Diese äußert sich typischerweise als Herpes zoster („Gürtelrose“). Das passiert, wenn die Viren entlang der Nervenbahnen, in deren Endknoten sie überdauert hatten, wieder ausströmen. Befanden sich diese Nervenendknoten im Gehirn, kann sich auch eine Entzündung des Gehirns (Enzephalitis) oder der Hirnhäute (Meningitis) oder beides (Meningoenzephalitis) entwickeln.

Die Behandlung mit Gilenya (Fingolimod) kann ein Risiko für VZV-Infektionen sein. Zur Vermeidung einer primären Infektion (Windpocken) muss vor Therapiebeginn sichergestellt sein, dass eine ausreichende Immunität gegen VZV vorliegt.

Bei Patienten ohne ärztlich bestätigte Windpockeninfektion oder ohne vollständige Impfung sollte vor Beginn der Behandlung mit Gilenya (Fingolimod) ein Antikörpertest auf VZV durchgeführt werden. Bei fehlendem Antikörpernachweis (= negatives Testergebnis) sollte vor Therapiebeginn eine VZV-Impfung erfolgen (Shingrix® oder Zostavax®).

Behandler sollten sich des Risikos schwerer VZV-Infektionen im Zusammenhang mit Fingolimod bewusst sein. Bei entsprechenden zoster-artigen Hautveränderungen (gürtelförmige Anordnung von Bläschen) beginnen Sie unverzüglich eine antivirale Behandlung. Schwere VZV-Infektionen (speziell solche, die sich wie bei einer Meningoenzephalitis im Gehirn abspielen) können jedoch auch ohne begleitende Hauterscheinungen auftreten. Bei neu auftretenden oder sich verschlechternden neurologischen Symptomen sollten bei Patienten, die mit Gilenya (Fingolimod) behandelt werden, neben einem MS-Schub auch VZV-assoziierte Komplikationen erwogen werden. Der Grund dafür ist, dass eine Kortisonstoßbehandlung wegen eines irrtümlich vermuteten MS-Schubs den Verlauf einer etwaigen VZV-Infektion verschlimmern könnte.

Was ist zu tun?

Wenn Sie mit Gilenya (Fingolimod) behandelt werden, insbesondere auch wenn Sie vor Behandlungsbeginn oder auch in deren Verlauf aufgrund eines akuten MS-Schubs hochdosiert Kortison erhalten haben, sollten Sie auf gürtelförmig angeordnete, schmerzhafte Hautbläschen achten. Diese treten meist einseitig am Brustkorb entlang des Rippenverlaufs oder auch im Gesicht auf. Wenn Sie eine Verschlimmerung oder neue neurologische MS-Symptome an sich beobachten, sollten Sie zeitnah Ihren behandelnden Arzt konsultieren. 

Folgende Symptome können Anzeichen einer (Meningo-)Enzephalitis sein:

Zu Beginn treten allgemeine, grippeartige Krankheitsanzeichen auf wie Fieber, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Muskelschmerzen und Übelkeit. Erst anschließend entwickeln sich die spezifischen Beschwerden der Enzephalitis: 

  • Bewusstseinsstörungen (z. B. Bewusstlosigkeit oder Verwirrtheit)
  • plötzliche Beeinträchtigung von Konzentration und Gedächtnis
  • Verhaltensveränderungen ( z. B. auffällige Stimmungsschwankungen, Halluzinationen, Verfolgungswahn oder Orientierungslosigkeit [organisches Psychosyndrom])
  • Erbrechen
  • neurologische Ausfälle (z. B. Störungen der Sprache und des Sprechens, Lähmungen einzelner Extremitäten oder der Augenmuskeln)
  • Krampfanfälle
  • bei gleichzeitiger Reizung der Hirnhäute (Meningoenzephalitis): Nacken- und/oder Rückensteifheit (sogenannter Meningismus), d.h. ein Vorbeugen des Kopfes auf die Brust ist äußerst schmerzhaft oder gänzlich unmöglich

Auch wenn Sie als Kind eine Windpockeninfektion durchgemacht haben oder im Säuglingsalter gegen eine Infektion mit dem VZ-Virus geimpft worden sind, sollten Sie sich von Ihrem behandelnden Arzt hinsichtlich einer (neuerlichen) VZV-Impfung beraten lassen. Gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) wird Shingrix® als Standardimpfung für Personen ab 60 Jahren empfohlen. Bei Menschen ab 50 Jahren wird die Impfung empfohlen, wenn ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Gürtelrose (Herpes zoster) oder einer postherpetischen Neuralgie (anhaltende gürtelförmige Nervenschmerzen in den Arealen des vorherigen Bläschenausschlags) besteht, z. B. bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen (wie Multipler Sklerose) oder bei Immunsuppression (krankheitsbedingt wie bei AIDS oder therapeutisch gewollt beispielsweise zur Behandlung einer Autoimmunerkrankung) vorkommen.

Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!

Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Behandlung mit Gilenya (Fingolimod) oder auch mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus,  um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie das Instrument der **Rote-Hand-Briefe** und der Arzneimittelsicherheitsinformationen wirkungsvoll zeigen.

Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.

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