Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich?
Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen. So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung des Rote-Hand-Briefes vom 07. März 2022 zu Infliximab (Handelspräparate: Remicade®, Flixabi®, Inflectra™, Remsima® und Zessly®).
Worum geht es?
Die Zulassungsinhaber von Infliximab-haltigen Arzneimitteln (MSD, Biogen, Celltrion, Pfizer und Hexal) möchten Sie in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und dem Paul-Ehrlich-Institut, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (PEI), über ein Risiko informieren, das Säuglinge von Müttern betrifft, die während ihrer Schwangerschaft mit einem Infliximab-haltigen Arzneimittel behandelt wurden oder die damit während der Stillzeit ihres Babys behandelt werden.
Infliximab wird angewendet zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie:
- Gelenkrheuma (rheumatoide Arthritis)
- entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa)
- verknöchernd-versteifenden Wirbelentzündungen (ankylosierender Spondylitis, Morbus Bechterew)
- Schuppenflechte und damit verbundenen Gelenkentzündungen (Psoriasis und Psoriasis-Arthritis)
Eine Autoimmunerkrankung entsteht als Folge einer Fehlsteuerung des Immunsystems. Bei dieser werden körpereigene Strukturen (Zellen, Gewebe und Organe) angegriffen, wodurch eine Entzündungsreaktion ausgelöst wird.
Infliximab gehört zur Gruppe der Immunsuppressiva, die diese fehlgesteuerten Immunreaktionen unterdrücken. Es ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper, der ein bestimmtes Eiweiß, nämlich den Tumornekrosefaktor Alpha (TNF Alpha), hemmt. TNF Alpha kann so nicht mehr zu den entzündlichen Gewebeveränderungen beitragen und seine zerstörende Wirkung wird gemindert.
Da Infliximab ein Eiweißstoff ist, kann es nicht in Tablettenform eingenommen werden, weil die Magensäure es im Verdauungsprozess zerstören würde. Es muss in regelmäßigen Abständen als Infusion in eine Vene (intravenös) verabreicht werden.
Infliximab ist plazentagängig, d.h. es gelangen kleine Mengen dieses Wirkstoffs aus dem Blut der Mutter durch die Plazenta hindurch auch ins Blut des ungeborenen Kindes. Außerdem wurden sehr geringe Mengen von Infliximab in der Muttermilch und in Spuren dann auch im Blut der gestillten Kinder nachgewiesen. Wegen der immunsupprimierenden Wirkung von Infliximab sind diese Kinder dann bereits im Allgemeinen sehr infektionsgefährdet.
Der Impfplan für Säuglinge sieht darüber hinaus in den ersten Lebenswochen und Monaten eine Vielzahl empfohlener Schutzimpfungen vor. Darunter sind auch viele mit so genannten Lebendimpfstoffen.
Ein Lebendimpfstoff enthält im Gegensatz zu einem Totimpfstoff einе geringe Menge abgeschwächter, aber lebendiger und somit vermehrungsfähiger Krankheitserreger.
Lebendimpfstoffe können als Injektion (Spritze) oder als Schluckimpfung (oral) verabreicht werden. Sie lösen eine stärkere Immunantwort aus als Totimpfstoffe. Die durch sie erreichte Immunität hält meist lebenslang an.
Zu den Lebendimpfungen gehören solche gegen Masern, Mumps, Röteln, Gelbfieber, Windpocken (Varizellen), Tuberkulose (BCG-Impfstoff), Typhus, Rotavirus, Polio, Pocken und Cholera.
Für immungeschwächte Personen sind Lebendimpfstoffe nicht geeignet, da sich Impferreger in ihrem Organismus zu stark vermehren. So kann die Erkrankung, gegen die die Impfung eigentlich schützen sollte, bei dieser Personengruppe zum Ausbruch kommen.
Bei der Impfung mit einem Lebendimpfstoff droht somit Säuglingen, die einen nachweisbaren Spiegel von Infliximab in ihrem Blut haben (sei es durch Exposition während der Schwangerschaft oder durch die Muttermilch), wegen der immunsupprimierenden Wirkung von Infliximab ein hohes Erkrankungsrisiko durch den im Lebendimpfstoff enthaltenen Krankheitserreger.
Zusammenfassung und Hintergrund der Sicherheitsbedenken:
Säuglinge, die gegenüber Infliximab „in utero“ (d. h. „in der Gebärmutter“, also während der Schwangerschaft) exponiert waren:
- Infliximab ist plazentagängig und tritt in den Blutstrom des ungeborenen Kindes über. Infliximab wurde bis zu 12 Monate nach der Geburt im Blut von Babys nachgewiesen, deren Mütter in der Schwangerschaft mit Infliximab behandelt wurden.
- Babys können deshalb infolge der immunsuppressiven Wirkung von Infliximab ein erhöhtes allgemeines Infektionsrisiko haben. Daraus können sich auch schwerwiegende, den ganzen Organismus des Kindes in Mitleidenschaft ziehende Infektionen entwickeln, die lebensbedrohlich sein können.
- Es wird daher auch eine Wartezeit von 12 Monaten nach der Geburt empfohlen, bevor Lebendimpfstoffe bei Säuglingen angewendet werden, die „in utero“ gegenüber Infliximab exponiert waren.
- In besonderen Situationen, wo ein Baby durch eine Impfung mit einem Lebendimpfstoff unbedingt geschützt werden muss, ist eine solche Impfung zu einem früheren Zeitpunkt möglich, wenn Infliximab im Blut des Babys nicht (mehr) nachweisbar ist oder die Anwendung von Infliximab auf das erste Drittel der Schwangerschaft der Mutter beschränkt war.
Säuglinge, die gegenüber Infliximab über die Muttermilch exponiert sind oder waren:
- In der Muttermilch wurden niedrige Spiegel von Infliximab nachgewiesen (bis zu 5% des mütterlichen Blutspiegels von Infliximab). Die Menge von Infliximab, die dann im Blut eines gestillten Säuglings nachweisbar ist, dürfte aber sehr gering sein, da Infliximab zum Großteil durch die Magensäure bei der Verdauung zerstört und abgebaut wird.
- Dennoch wird die Anwendung von Lebendimpfstoffen bei Babys, die gestillt werden, während die Mutter Infliximab erhält, nicht empfohlen, es sei denn, Infliximab ist im Blut des Kindes nicht nachweisbar.
Die Fachinformationen, Gebrauchsinformationen und Patientenkarten für Infliximab werden aktualisiert, um die aktuellen Empfehlungen bezüglich der Anwendung von Lebendimpfstoffen bei Säuglingen, die „in utero“ oder über die Muttermilch exponiert waren, widerzuspiegeln.
Patienten, die mit Infliximab behandelt werden, sollte die Gebrauchsinformation und die Patientenkarte ausgehändigt werden. Frauen sollten über die Wichtigkeit aufgeklärt werden, die Anwendung von (Lebend)-Impfstoffen mit dem Kinderarzt ihres Babys zu besprechen, wenn sie während der Schwangerschaft mit Infliximab behandelt wurden oder beabsichtigen zu stillen, während sie Infliximab erhalten.
Was ist zu tun?
Wenn Sie an einer der eingangs genannten Autoimmunerkrankungen (Gelenkrheuma, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Morbus Bechterew, Schuppenflechte ohne / mit Gelenkbeteiligung) leiden und in der Schwangerschaft Infusionen mit Infliximab erhalten haben oder wenn Sie Ihr Kind stillen und mit Infliximab behandelt werden, dann wird Ihr Arzt Sie über das möglicherweise erhöhte Infektionsrisiko Ihres Babys aufklären, da Infliximab auch ins Blut Ihres Baby übergetreten sein kann und so die Immunabwehr Ihres Kindes schwächen kann.
Die Maßnahmen, die Sie zu Ihrem eigenen Infektionsschutz ergreifen, sollten Sie daher auch für Ihr Baby beachten. Dazu gehört in erster Linie die Händedesinfektion und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Zusätzlich sollte der Kontakt mit möglicherweise oder offensichtlich an Infektionskrankheiten leidenden Personen gemieden werden.
Gerade in den ersten Wochen und Monaten im Leben eines Kindes werden viele Schutzimpfungen empfohlen, darunter auch solche mit Lebendimpfstoffen. Wegen der möglicherweise beeinträchtigten Immunabwehr Ihres Kindes sollten Impfungen mit einem Lebendimpfstoff verschoben werden. Nach dem ersten Lebensjahr können diese dann vorgenommen werden. Nur in Ausnahmefällen, wenn Ihr Kind möglicherweise einem besonderen Infektionsrisiko durch eine der Krankheiten ausgesetzt ist, gegen die es nur eine Impfung mit einem Lebendimpfstoff geschützt werden kann, darf die Wartezeit von 12 Monaten verkürzt werden, sofern keine Infliximab-Spiegel im Blut des Kindes nachweisbar sind.
Informieren Sie daher Ihren Kinderarzt über Ihre Behandlung mit Infliximab während der Schwangerschaft bzw. der Stillperiode. Besprechen Sie mit ihm den Impfplan für Ihr Kind, um eine Erkrankung des Babys ausgelöst durch einen Lebendimpfstoff zu vermeiden.
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!
Beobachten Sie Nebenwirkungen bei sich selbst oder bei Ihrem Baby, während Sie mit Infliximab behandelt werden, sollten Sie diese umgehend melden.
Das gilt auch für Nebenwirkungen unter der Behandlung mit jedem anderen Arzneimittel. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die **Rote-Hand-Briefe** wirkungsvoll zeigen.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.
Quellen: RHB