Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich?
Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen.
So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung des Rote-Hand-Briefes vom 30. September 2021 zu kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK).
Worum geht es?
Daten aus zahlreichen Studien haben gezeigt, dass bei kombinierten hormonalen Kontrazeptiva (KHK) Unterschiede hinsichtlich des Risikos für venöse Thromboembolien (VTE) bestehen. Das geringste Risiko für VTE haben KHK mit den Gestagenen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat.
KHK sind Präparate zur Schwangerschaftsverhütung, die ein Östrogen (Ethinylestradiol) und ein Gestagen enthalten. Dazu zählen die “klassische Antibabypille”, aber auch Hormonpflaster und Verhütungsringe.
Ergebnisse einer kürzlich im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit veröffentlichten Studie in einer Gruppe von KHK-Neu-Nutzerinnen ab einem Alter von 19 Jahren zeigen, dass die Verordnungen von KHK mit dem niedrigsten Risiko für VTE von 32 % (in den Jahren 2005- 2007) auf 54 % in den (Jahren 2015-2017) angestiegen sind, während die Neuverordnungen von KHK mit einem erhöhten VTE-Risiko in den gleichen Zeiträumen von 46 % auf 33 % gesunken sind. Um die Verordnungen solcher KHK mit erhöhtem oder noch unbekanntem VTE-Risiko im Sinne der Patientensicherheit weiter zu verringern, wird in folgender Übersicht erneut an die unterschiedliche Ausprägung des VTE-Risikos der verschiedenen kombinierten Antibabypillen erinnert.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informiert daher firmenunabhängig:
Bei der Verordnung von sogenannten kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK) sollen die Ärzte darauf achten, solche Präparate zu wählen, die das niedrigste Risiko für die Entwicklung einer Thrombose aufweisen. Hierbei soll das zu jedem Präparat vorhandene Schulungsmaterial als Informations- und Entscheidungshilfe herangezogen werden. Die Ärzte werden daran erinnert, diesen Umstand bei jeder Verordnung eines KHK zu berücksichtigen und möglichst solche Präparate zu bevorzugen, die ein niedriges VTE-Risiko aufweisen.
Bei der Verordnung eines KHK sind die individuellen Risikofaktoren der jeweiligen Anwenderin zu beachten und bei der Auswahl der für sie geeigneten Schwangerschaftsverhütungsmethode zu berücksichtigen. Das Vorliegen solcher Risikofaktoren und deren Ausprägung muss immer wieder neu überprüft werden, da sich die gesundheitliche Situation oder auch äußere Umstände, die das VTE-Risiko beeinflussen, ändern können.
Betont wird die wichtige Rolle des ärztlichen Gesprächs mit der Anwenderin. Sie muss über das grundsätzlich bestehende Risiko, eine venöse oder arterielle Thrombose oder Embolie bei Einnahme/Anwendung eines KHK zu entwickeln, aufgeklärt und in verständlicher Form über die möglichen Anzeichen und Symptome einer venösen oder arteriellen Thrombose / Embolie informiert werden. Sie muss weiterhin verstanden haben, dass sie ihren Arzt über Veränderungen oder neu auftretende Risikofaktoren informieren sollte wie die Diagnose einer schweren Erkrankung, eine bevorstehende Operation, eine längere Flugreise (über 4 Stunden) oder auch eine Einschränkung in der Bewegungsfähigkeit (z.B. durch ein Gipsbein). Die Anwenderin soll insbesondere darin bestärkt werden, die Gebrauchsinformation zu lesen, die jeder Packung eines KHK beiliegt. Diese enthält eine Beschreibung der Symptome eines Blutgerinnsels, auf die sie achten sollte.
Hintergrund zu den Sicherheitsbedenken
Das Risiko für das Auftreten einer VTE (venöse Thrombose bzw. Lungenembolie) bei Anwenderinnen verschiedener KHK wurde in zahlreichen Studien untersucht. Die Gesamtschau der Daten zeigt dabei, dass sich einzelne KHK hinsichtlich des VTE‐Risikos voneinander unterscheiden – wobei Präparate, die Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat enthalten, mit dem geringsten VTE-Risiko behaftet sind.
Insgesamt ist das VTE-Risiko im ersten Jahr der Anwendung eines KHK bzw. nach einem erneuten Beginn der Anwendung (nach einer Anwendungspause von mindestens 4 Wochen) am höchsten. Insbesondere und zeitlich unabhängig erhöht ist das Thromboembolierisiko bei Vorliegen von Risikofaktoren, wie z.B. Rauchen, Übergewicht (Body Mass Index/BMI über 30 kg/m2), Alter ab 35 Jahren, mangelnde Bewegung / Immobilisierung und erbliche Veranlagung.
Diese Risikofaktoren können sich im Laufe des Lebens ändern, so dass sie regelmäßig neu beurteilt werden müssen. Zudem sollte die Patientin bei der Verordnung auf mögliche Symptome einer Thromboembolie hingewiesen werden, wobei auch betont werden muss, dass einem beträchtlichen Teil aller Thromboembolien keinerlei offensichtlich erkennbaren Symptome vorausgehen.
Es ist zudem bekannt, dass auch das Risiko für das Auftreten einer arteriellen Thrombose oder Embolie (ATE), die z.B. zu Myokardinfarkt oder Schlaganfall führen kann, unter der Anwendung von KHK ebenfalls erhöht ist. Die Datenlage lässt derzeit jedoch noch keine gesicherten Rückschlüsse auf Unterschiede im ATE- Risiko der einzelnen KHKs zu.
Behördlich beauflagtes Schulungsmaterial
Die aktuelle Checkliste für die Verschreibung von KHK sowie die Informationskarte für die Anwenderin sind dem Original-Rote Hand Brief für die Angehörigen der Heilberufe beigefügt. Beide Dokumente sind für alle KHK mit noch unbekanntem oder einem höheren VTE-Risiko verpflichtender Teil der behördlichen Zulassung, also der Voraussetzung, dass ein Arzneimittel in der Apotheke verkauft werden darf. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Angehörige der Heilberufe, die kombinierte hormonale Kontrazeptiva verschreiben und zur Anwendung bringen, die besonderen Sicherheitsanforderungen kennen und berücksichtigen.
Die Informationskarte für die Anwenderin wurde gleichfalls als verpflichtender Teil der Zulassung erstellt und mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) abgestimmt. Sie soll als zusätzliche risikominimierende Maßnahme sicherstellen, dass die Anwenderinnen mit den Besonderheiten dieser Arzneimittel vertraut sind, damit dadurch das mögliche Risiko für Thrombosen reduziert wird:
Wichtige Informationen über kombinierte hormonale Kontrazeptiva („Pillen“ und andere Verhütungsmittel mit Östrogenen und Gestagenen) und das Risiko für Thrombosen
Alle kombinierten hormonalen Kontrazeptiva, wie auch das Ihnen verschriebene Präparat, erhöhen das Risiko für die Bildung eines Blutgerinnsels. Das Gesamtrisiko für das Auftreten eines Blutgerinnsels unter Anwendung eines kombinierten hormonalen Kontrazeptivums ist gering, allerdings können Blutgerinnsel schwerwiegend und in sehr seltenen Fällen sogar tödlich sein. Es ist besonders wichtig, dass Sie erkennen, wann Sie ein höheres Risiko für ein Blutgerinnsel haben und auf welche Anzeichen und Symptome Sie achten sollten, und welche Maßnahmen Sie dann ergreifen müssen.
Wann ist das Risiko für die Bildung einer Thrombose am größten?
- im ersten Jahr der Anwendung eines kombinierten hormonalen Kontrazeptivums (auch dann, wenn Sie nach einer Unterbrechung von 4 oder mehr Wochen die Anwendung wieder aufnehmen)
- wenn Sie stark übergewichtig sind (BMI über 30)
- wenn Sie älter als 35 Jahre sind
- wenn bei einem Ihrer nächsten Angehörigen in relativ jungen Jahren (d. h. jünger als ca. 50 Jahre) ein Blutgerinnsel aufgetreten ist (Gefäßverschlüsse im Bein (Thrombose), in der Lunge (Lungenembolie) oder anderen Organen, Schlaganfall oder Herzinfarkt)
- wenn Sie vor wenigen Wochen entbunden haben
Thrombose-Risiko: Was ist zu tun?
Wenn Sie rauchen und älter als 35 Jahre sind, wird Ihnen dringend geraten, mit dem Rauchen aufzuhören oder ein nicht-hormonales Verhütungsmittel anzuwenden.
Suchen Sie umgehend ärztliche Hilfe auf, wenn Sie eines der folgenden Anzeichen oder Symptome bemerken:
- starke Schmerzen oder Schwellungen eines Beins, die begleitet sein können von Druckschmerz, Erwärmung oder Änderung der Hautfarbe des Beins, z. B. aufkommende Blässe, Rot- oder Blaufärbung. Sie könnten an einer tiefen Beinvenenthrombose leiden.
- plötzliche unerklärliche Atemlosigkeit/Atemnot oder schnelle Atmung; starke Schmerzen in der Brust, welche bei tiefem Einatmen zunehmen können; plötzlicher Husten ohne offensichtliche Ursache, bei dem Blut ausgehustet werden kann. Sie könnten an einer schweren Komplikation einer tiefen Beinvenenthrombose leiden: die Lungenembolie. Diese entsteht, wenn das Blutgerinnsel vom Bein in die Lunge wandert.
- Brustschmerz (meist plötzlich auftretend), aber manchmal auch nur Unwohlsein, Druck, Schweregefühl, vom Oberkörper in den Rücken, Kiefer, Hals und Arm ausstrahlende Beschwerden, zusammen mit einem Völlegefühl, Verdauungsstörungen oder Erstickungsgefühl, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen oder Schwindelgefühl. Sie könnten an einem Herzanfall leiden.
- Schwäche oder Taubheitsgefühl des Gesichtes, Arms oder Beins, die auf einer Körperseite besonders ausgeprägt ist; Sprach- oder Verständnisschwierigkeiten; plötzliche Verwirrtheit; plötzliche Sehstörungen oder Sehverlust; schwerere oder länger anhaltende Kopfschmerzen/Migräne. Sie könnten einen Schlaganfall haben. Achten Sie aufmerksam auf die Symptome eines Blutgerinnsels, und fragen Sie Ihren Arzt nach Vorbeugungsmaßnahmen zur Verhinderung von Blutgerinnseln, besonders wenn Sie:
- gerade operiert wurden
- über einen längeren Zeitraum bettlägerig gewesen sind (z.B. aufgrund einer Verletzung oder Krankheit, oder weil ein Bein eingegipst ist)
- auf einer längeren Reise gewesen sind (z. B. Flüge über 4 Stunden)
Denken Sie daran, Ihren Arzt einschließlich den behandelnden Chirurgen oder Krankenschwester darüber zu informieren, dass Sie ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum anwenden, wenn Sie:
- operiert werden müssen oder eine Operation hatten
- falls Sie längere Zeit bettlägerig sind
- eine längere Reise (speziell mit längeren Flugzeiten) planen
- von Angehörigen der Gesundheitsberufe gefragt werden, ob Sie ein Arzneimittel nehmen
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!
Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Behandlung mit einem kombinierten hormonellen Schwangerschaftsverhütungsmittel oder auch mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die **Rote-Hand-Briefe** wirkungsvoll zeigen.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.