Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich?
Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen. So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung des Rote-Hand-Briefs vom 25. März 2021 zu Tecentriq (Atezolizumab).
Worum geht es?
Die Roche Pharma AG informiert in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und dem Paul-Ehrlich-Institut darüber, dass bei Patienten, die mit Tecentriq (Atezolizumab) behandelt wurden, schwerwiegende Hautreaktionen (SCARs = Severe Cutaneous Adverse Reactions) aufgetreten sind.
Der Wirkstoff Atezolizumab (Handelsname des Präparats: Tecentriq) ist als alleinige Behandlung (Monotherapie) für einige Krebserkrankungen zugelassen, darunter auch für das lokal fortgeschrittene oder metastasierende Urothelkarzinom. Unter einem Karzinom versteht man eine bösartige Wucherung (Krebserkrankung), die von Haut- oder Schleimhautzellen ausgeht. Im Fall des Urothelkarzinoms handelt es sich um eine Krebserkrankung des Gewebes der ableitenden Harnwege und kann damit sowohl das Nierenbecken als auch die Harnröhre, den Harnleiter oder die Blase betreffen. Der Zusatz „lokal fortgeschritten“ beschreibt den Zustand der Krebserkrankung. Dieser ist in dem Fall am Ort seiner Entstehung schon sehr vorangeschritten und befindet sich nicht mehr im Anfangsstadium. Hinter dem Begriff „metastasierend“ verbirgt sich die Ansiedelung der bösartigen Krebszellen in anderen Regionen des menschlichen Körpers, auch bekannt unter der Formulierung „der Krebs streut“. Diese Ansiedelungen werden Tochtergeschwülste oder auch Metastasen genannt.
Tecentriq (Atezolizumab) wird außerdem als Monotherapie zur Behandlung von mehreren Formen von Lungenkrebs eingesetzt, darunter das lokal fortgeschrittene oder metastasierende nicht-kleinzellige Lungenkarzinom und das kleinzellige Lungenkarzinom.
Lungenkrebs entsteht durch bösartige Gewebsveränderungen in den Zellen der Atemwege (Bronchien) und den weiteren Aufzweigungen (Bronchiolen). Deswegen wird diese Krebserkrankung auch Bronchialkarzinom genannt.
Die Unterscheidung von Lungenkrebs in „kleinzellig“ und „nicht-kleinzellig“ basiert darauf, dass Fachleute diese beiden Gruppen anhand des Aussehens und der Größe der Zellen unter dem Mikroskop unterscheiden können. Hinter dem Begriff nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom verbergen sich mehrere Formen von Lungenkrebs, die alle ähnlich behandelt werden und eine vergleichbare Prognose haben. Dahingegen ist das kleinzellige Lungenkarzinom die in Deutschland seltenere Form von Lungenkrebs, wächst aber vergleichsweise schnell und streut schon nach kurzer Zeit in weiteren Regionen des Körpers.
Wie wirkt der Tecentriq (Atezolizumab)?
Das bösartige Tumorgewebe bildet einen Eiweißstoff (Protein) namens PD-L1 (programmed-death ligand 1), der die Immunantwort des Körpers hemmt und damit verhindert, dass der Körper den Krebs erkennt und bekämpfen kann. Tecentriq (Atezolizumab) blockiert genau dieses Protein und sorgt damit für eine aktive Antwort des Immunsystems auf den Tumor, das Tumorwachstum wird gehemmt.
Das Präparat wird in einer Dosis von 1200 mg als Infusion alle drei Wochen in eine Vene (intravenös) verabreicht.
Tecentriq (Atezolizumab) und das Auftreten schwerer Hautreaktionen (SCARs)
Basierend auf einer aktuellen Analyse der firmeneigenen Sicherheitsdatenbank der Roche Pharma AG zählen nun schwere Hautreaktionen (SCARs = Severe Cutaneous Adverse Reactions) zu den identifizierten Risiken bei der Behandlung von Patienten mit Tecentriq (Atezolizumab). Die prozentuale Häufigkeit (Inzidenz) von SCARs, unabhängig vom Schweregrad, lag bei den klinischen Studien mit Atezolizumab als Monotherapie bei 0,7% und bei Verabreichung gemeinsam mit anderen Medikamenten (Kombinationstherapie) bei 0,6% der behandelten Patienten. Darin eingeschlossen ist ein tödlicher Fall einer 77-jährigen Patientin, die eine Atezolizumab-Monotherapie erhalten hat.
Bei SCARs handelt es sich um Arzneimittelexantheme (durch Arzneimittel ausgelöster Hautausschlag), die einen potentiell tödlichen Verlauf nehmen können.
Zu diesen Hautreaktionen zählt unter anderem die toxisch epidermale Nekrolyse (TEN, auch Lyell-Syndrom genannt), eine lebensbedrohliche Hautkrankheit, bei der sich die Haut großflächig ablöst.
Eine vergleichbare Hauterkrankung ist das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS), hier kommt es durch Blasenbildung und Ablösung der Haut ebenfalls zu schwerwiegenden Komplikationen.
Auch das akut generalisierte pustulöse Exanthem (acute generalised exanthematous pustulosis, AGEP) zählt zu den SCARs. Betroffene Patienten leiden unter stecknadelkopfgroßen Pusteln auf geröteten und geschwollenen Hautarealen.
Eine weitere SCAR ist das Arzneimittelexanthem mit Eosinophilie und systemischen Symptomen (drug rash with eosinophilia and systemic symptoms, DRESS). Dabei handelt es sich um eine Überempfindlichkeitsreaktion des Körpers, die sich durch einen großflächigen Hautausschlag, Fieber und Eosinophilie (erhöhte Zahl an eosinophilen Granulozyten, einer Unterform der weißen Blutkörperchen) äußert. Auch die inneren Organe sind an dieser Reaktion oftmals beteiligt.
Was ist zu tun?
Falls Sie als Patient mit Tecentriq (Atezolizumab) behandelt werden, und schwerwiegende Hautreaktionen beobachten, wenden Sie sich unmittelbar an Ihren behandelnden Arzt und besprechen Sie mit diesem das weitere Vorgehen.
Sobald ein Verdacht auf eine schwere Hautreaktion (Severe Cutaneous Adverse Reaction, SCAR)vorliegt, muss die Anwendung des Arzneimittels unterbrochen und der Patient an einen Spezialisten für SCARs überwiesen werden. Bei einer bestätigten Erkrankung an SJS oder TEN ist die Behandlung mit Tecentriq in jedem Fall dauerhaft abzubrechen.
Patienten, bei denen bereits in der Behandlung mit anderen Krebsmedikamenten schwere Hautreaktionen aufgetreten sind, sollte nur unter größter Vorsicht mit Tecentriq therapiert werden.
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!
Beobachten Sie Nebenwirkungen unter der Behandlung mit Tecentriq (Atezolizumab) oder auch mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie das Instrument der **Rote-Hand-Briefe** und der Arzneimittelsicherheitsinformationen wirkungsvoll zeigen.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.