Rote-Hand-Briefe – was ist das eigentlich?
Mit den sogenannten ”Rote-Hand-Briefen” informieren die Pharmahersteller medizinische Fachkreise, d.h. Ärzte und Apotheker, über neu entdeckte Arzneimittelrisiken, wie etwa über Erkenntnisse zu neuen Neben- und Wechselwirkungen sowie fehlerhaften Produkten, die die Sicherheit eines Arzneimittels betreffen. In unserer neuen Rubrik fassen wir für Sie die primär an Fachkreise gerichteten Rote-Hand-Briefe einfach und kompakt zusammen. So sind Sie als Patient immer bestens über neue sicherheitsrelevante Ereignisse informiert, die die Einnahme von Medikamenten betreffen.
Liebe Patientin, lieber Patient,
lesen Sie hier unsere “patientenfreundliche” Fassung des Rote-Hand-Briefes vom 18. Juli zu Elmiron (Pentosanpolysulfat-Natrium). Der Hersteller bene-Arzneimittel GmbH informiert hiermit in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) über das seltene Risiko, insbesondere unter Langzeitbehandlung eine besondere Form der Netzhauterkrankung (pigmentäre Makulopathie) zu entwickeln.
Worum geht es?
In seltenen Fällen wurde unter der Anwendung von Elmiron (Wirkstoff: Pentosanpolysulfat-Natrium) berichtet, dass Patienten eine spezifische Form einer Netzhauterkrankung erlitten. Bis jetzt liegen keine Informationen vor, ob das Fortschreiten dieser Erkrankung durch das Absetzen des Medikaments gestoppt oder die Schäden rückgängig gemacht werden können.
Wie wirkt Elmiron (Pentosanpolysulfat-Natrium)?
Elmiron (Pentosanpolysulfat-Natrium) ist ein neues Medikament, das seit 2017 zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit Blasenschmerz-Syndrom (Interstitielle Zystitis) eingesetzt wird.
Die interstitielle Zystitis ist eine seltene Erkrankung der Blase bisher noch ungeklärter Ursache, die mit Blasen- und Beckenschmerzen sowie Beschwerden beim Wasserlassen einhergeht. Die Symptome sind ähnlich wie bei einer Blasenentzündung oder einer überaktiven Reizblase. Betroffen sind mehr Frauen als Männer, meist im mittleren Alter.
Bei Patienten mit Blasen-Schmerzsyndrom weisen die Schleimhaut der Harnblase sowie Harnleiter und Harnröhre Schädigungen auf. Diese Schutzschicht besteht aus Glykosaminoglykanen und verhindert beim Gesunden, dass im Urin enthaltene aggressive Substanzen in das Blasengewebe eindringen können. Durch die Erkrankung ist dieser Schutz nicht mehr gewährleistet und es kommt zu chronischen, nicht-bakteriellen Entzündungen.
Nach Einnahme des Medikaments Elmiron wird der Wirkstoff über den Urin ausgeschieden und kann dabei innerhalb der Blase seine Wirkung entfalten. Da dieser dem körpereigenen Glykosaminoglykanen ähnelt, wird die geschädigte Schutzschicht repariert und das Anhaften von Bakterien an der Innenwand der Blase verhindert. Das Risiko möglicher Infektionen sinkt. Dem Wirkstoff wird zudem eine entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben.
Patienten mit Blasenschmerz-Syndrom leiden häufig auch gleichzeitig an Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Histamin-Intoleranz, Reizdarmsyndrom, chronischem Erschöpfungssyndrom oder Fibromyalgie. Dies könnte auf eine allem zugrunde liegende Überempfindlichkeit des Nervensystems mit negativem Einfluss auf die feingewebliche Durchblutung hinweisen. Möglicherweise spielen auch erbliche Risikofaktoren (genetische Dispositionen) bei der Entwicklung des Blasenschmerz-Syndroms und auch der anderen genannten Erkrankungen eine Rolle.
Neue Hinweise aus der Arzneimittelsicherheit
Berichten aus der medizinischen Fachliteratur zufolge trat bei Patienten, die mit Elmiron behandelt wurden, in seltenen Fällen eine sogenannte pigmentäre Makulopathie auf.
Unter Makulopathie versteht man eine Erkrankung der Netzhaut im Bereich des Netzhautzentrums, dem “gelben Fleck” (lateinisch Macula lutea, kurz Macula). Dieser weist die größte Dichte an Sehzellen auf. Mit dessen Hilfe ist es dem Menschen möglich, scharf zu sehen. Einen Gegenstand in unserer Umwelt zu fixieren, ist ebenfalls nur mit Hilfe dieses gelben Flecks möglich; in den anderen Bereichen der Netzhaut nimmt man das Gesehene nur schemenhaft wahr. Dies ist aber ebenfalls wichtig, um sich in einem Raum orientieren zu können. “Pigmentär” beschreibt die Art der Veränderung, bei der es zu abgegrenzten Fleckenbildungen auf der Makula kommt, die die Sehzellen schädigen und damit die Sehkraft beeinträchtigen.
Betroffen waren vor allem Personen, die…
- …Elmiron über einen langen Zeitraum und
- …täglich eine höhere Dosis als empfohlen (also mehr als 3x 100 mg) eingenommen haben.
Diese spezielle Form der Makulopathie wurde bis jetzt nur bei der Anwendung von Pentosanpolysulfat-Natrium beobachtet. Aufgrund der noch unzureichenden Datenlage ist nicht bekannt, ob das Absetzen des Medikaments den Verlauf der Netzhauterkrankung beeinflussen kann, ob also zumindest ein Stillstand der Schädigung oder sogar eine Wiederherstellung der Sehkraft eintreten wird. Unter Umständen ist die eingetretene Schädigung der Makula nicht mehr umkehrbar (irreversibel).
Was ist zu tun?
Angesicht der Schwere und möglicherweise Unumkehrbarkeit der Erkrankung, empfiehlt der Hersteller von Elmiron, dass sich alle Patienten, insbesondere diejenigen, die das Arzneimittel langfristig einnehmen, regelmäßig augenärztlich untersuchen lassen. So kann eine pigmentäre Makulopathie frühzeitig erkannt werden, möglicherweise in einem Stadium, in dem zumindest ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung gestoppt werden oder eine bereits eingetretene Schädigung sich sogar wieder zurückbilden kann.
Bei Feststellung einer (beginnenden) pigmentären Makulopathie sollte vorsorglich eine Beendigung der Behandlung mit Elmiron erfolgen.
Patienten, die Veränderungen des Sehens bemerken, werden aufgefordert, unverzüglich einen (Augen-)Arzt aufzusuchen.
Diese Veränderungen des Sehens können sich wie folgt äußern:
- Schwierigkeiten beim Lesen
- Langsamere Anpassung des Sehvermögens (Adaption) an schlechte oder reduzierte Lichtverhältnisse (insbesondere das Gefühl, von hellem Licht schnell geblendet zu sein)
- Abnahme der Sehschärfe
- Verzerrte Wahrnehmungen der Umgebung (sog. Metamorphopsien, bei der gerade Linien z.B. bei Gittermustern wellig erscheinen)
Wenn Sie Elmiron bereits über einen längeren Zeitraum eingenommen haben, sprechen Sie mit Ihrem Arzt, damit Sie eine Überweisung zum Augenarzt erhalten oder vereinbaren Sie selbst einen Augenarzt-Termin.
Wenn Sie Elmiron aufgrund ärztlicher Verordnung in einer höheren als der in der Packungsbeilage empfohlenen Dosierung von 3 x 100 mg täglich eingenommen haben, sprechen Sie Ihren Arzt darauf an, ob nicht eine niedrigere Dosierung ausreichend sein könnte.
Folgendes müssen Sie bei Ihrem Besuch beim Augenarzt unbedingt beachten:
Da bei der Untersuchung Ihre Pupille mit einem speziellen Medikament weitgetropft werden muss, um den Augenhintergrund mit der Netzhaut und der Makula, dem gelben Fleck, genau betrachten zu können, sind Sie für einige Stunden nicht in der Lage zu lesen und werden durch helles Licht leicht geblendet. Sie dürfen deshalb nach der Untersuchung in dieser Zeit des künstlich herbeigeführten schlechten Sehens nicht selbst Auto fahren.
Außerdem: Melden Sie Ihre Nebenwirkung!
Beobachten Sie Nebenwirkungen – egal welcher Art – unter der Behandlung mit Elmiron (Pentosanpolysulfat-Natrium) oder auch mit anderen Medikamenten, sollten Sie diese umgehend melden. Oftmals reichen wenige Meldungen aus, um die Öffentlichkeit über schwere Vorkommnisse zu informieren und Beipackzettel zu aktualisieren, wie die Rote-Hand-Briefe wirkungsvoll zeigen.
Unser Meldeservice bietet Ihnen hierfür die einfache und schnelle Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. Zudem können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden. Mit jeder Meldung tragen Sie aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei, indem eine bessere Informationsbasis für die zukünftige Verordnung von Arzneimitteln geschaffen wird.