Bei welcher Indikation werden Cannabisblüten eingesetzt?
Nach der Umstufung von Cannabisextrakten aus der Klasse der nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel in die Gruppe der verschreibungsfähigen Betäubungsmittel im Jahr 2011 folgte im Jahr 2017 die Neuerung, neben Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis auch die Blüten auf Rezept verschreiben zu können. Hieraus resultierte eine enorm hohe Erwartungshaltung auf Seiten der Patienten sowie der verschreibenden Ärzte. Allein in den ersten drei Monaten ab der Verordnungsfähigkeit wurden knapp
55.000 Rezepte über Cannabisblüten und cannabishaltige Rezepturarzneimittel ausgestellt.
Grundsätzlich sind Ärzte aller Fachrichtungen berechtigt, Medikamente mit Cannabis-Inhaltsstoffen zu verschreiben. Für Fertigarzneimittel mit Cannabis-Inhaltsstoffen gelten speziell definierte Indikationen; die Verordnung von Cannabis-Blüten als Rezepturausgangsstoff kann hingegen in einem weiter gefassten Indikationsspektrum erfolgen. Zu den etablierten Indikationen, bei denen cannabishaltige Arzneimittel therapeutisch eingesetzt werden, zählen:
- chronische Schmerzen
- Spastizität bei Multipler Sklerose und Paraplegie
- Epilepsie
- Übelkeit/ Erbrechen nach Chemotherapien
- Appetitsteigerung bei Anorexie/Wasting-Syndrom im Rahmen von HIV/AIDS-Erkrankungen
- Psychische Erkrankungen, z.B. Angststörungen, Tourette-Syndrom, ADHS, Schlafstörungen
Genauere Erkenntnisse über den medizinischen Einsatz von Cannabis in Deutschland will man durch eine Begleiterhebung gewinnen, die seit der Legalisierung im Jahr 2017 unter Beteiligung aller Ärzte, die Cannabis verordnen, durchgeführt wird. Eine erste Zwischenauswertung, deren Ergebnisse Dr. Peter Cremer-Schaeffer vom BfArM beim Deutschen Anästhesistenkongress in Leipzig vorstellte, zeigte, dass Schmerz mit 69 Prozent der häufigste Grund für die Verordnung von medizinischem Cannabis war, gefolgt von Spastik (11 Prozent), Anorexie/Wasting (8 Prozent), Übelkeit und Erbrechen (4 Prozent),
Depression (3 Prozent) und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (2 Prozent). Alle anderen Indikationen hatten nur je 1 Prozent oder weniger Anteil an den Verordnungen. Die Daten sind auf der Website des BfArM abrufbar.
Wieso gibt es keinen Beipackzettel für Cannabisblüten?
Die rechtlichen Bestimmungen für die Abgabe von Cannabisblüten sind durch die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) festgelegt. Sie unterscheiden sich wesentlich von Fertigarzneimitteln, da Cannabisblüten rechtlich betrachtet nach §14 der ApBetrO zur Gruppe der Rezepturausgangsstoffe zählen. Sie sind grundlegend für die Herstellung von Medikamenten statt für den direkten Gebrauch gedacht und werden aufgrund ihres Einsatzes nach ärztlicher Anweisung ohne Beipackzettel abgegeben.
Dieser Umgang mit Cannabis-Blüten als Rezepturausgangsstoff gibt dem Behandler wie dem Patienten mehr Freiraum in der Einsatzmöglichkeit. Zugleich birgt dieser Freiraum jedoch auch Gefahren, da gerade der Beipackzettel zur Sicherheit des Patienten beiträgt. Das für Fertigarzneimittel vorgeschriebene Informationsblatt enthält neben Einnahmehinweisen auch Informationen über potenzielle Wechsel- und Nebenwirkungen. Somit besteht die Gefahr, dass Nebenwirkungen oder auch Unverträglichkeiten nicht als solche erkannt werden.
Welche medizinischen Produkte / Medikamente sind betroffen?
Cannabisblüten und Apothekenzubereitungen auf der Basis von Cannabis-Inhaltsstoffen werden aus der weiblichen Hanfpflanze gewonnen. Hierzu ist in unserer Gesellschaft die meist verharmlosende Auffassung verbreitet, dass pflanzliche Produkte im Vergleich zu chemischen Grundstoffen eine bessere Verträglichkeit, ein geringeres Risiko und eine natürlichere Gesundheitswirkung aufweisen würden.
Diese Annahme ist allerdings nicht für alle pflanzlichen Grundstoffe in der medikamentösen Behandlung von Menschen zutreffend. Im Gegenteil, Experten warnen vor den Folgen des Cannabiskonsums. Explizit die in den Arzneizubereitungen enthaltenen Wirkstoffe THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) können in unterschiedlicher Konzentration und Zusammensetzung abweichende Wirkungsweisen entfalten. Beide Wirkstoffe haben das Potenzial zur Linderung von Beschwerden und Krankheitssymptomen, wirken jedoch unterschiedlich auf den Patienten ein.
Aus den Ergebnissen der ersten Zwischenauswertung der bereits erwähnten Begleiterhebung ist zu ersehen, dass nicht Cannabisblüten, sondern das teilsynthetische THC Dronabinol mit 2017 behandelten Patienten von 3138 den größten Verordnungsanteil hatte. Eingesetzt wurde Dronabinol beispielsweise als Rezeptur-Ausgangsstoff (NRF 22.7 und 22.8) oder in Form des importierten Fertigarzneimittels MarinolTM. Auf den Plätzen 2 bis 4 folgen Cannabisblüten (656 Patienten), Sativex® off Label (393 Patienten), Cannabisextrakt (57 Patienten) und Nabilon, zum Beispiel als Canemes® off Label (15 Patienten).
Nebenwirkungen von Cannabisblüten und die Einnahme im Alltag
Ein besonderes Risikopotenzial entfaltet die Nutzung von cannabishaltigen Präparaten im Alltag. Dies betrifft gerade auch die Hanfsorten, die speziell für die Verwendung als Medikament gezüchtet werden und daher häufig einen hohen THC-Gehalt haben. Studien weisen auf einen engen Zusammenhang zwischen dem Konsum von THC und psychischen Erkrankungen hin. Des Weiteren wird das Rauchen von Cannabisblüten den Risikofaktoren für Lungenerkrankungen und Krebs zugerechnet. Als unmittelbare, kurzfristige Nebenwirkungen des Cannabiskonsums sind
- Müdigkeit
- Schwindel und
- Mundtrockenheit, aber auch
- Herzrasen
- Orientierungslosigkeit und
- Verwirrtheitszustände
zu nennen.
Darüber hinaus berichteten mit Cannabiszubereitungen behandelte Patienten über
- massives Frieren
- zyklisches heftiges Erbrechen
- starke Gewichtsabnahme und Blutbildveränderungen
die oftmals von den verordnenden Ärzten entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder nicht als mögliche Nebenwirkung von Cannabis erkannt wurden.
Die häufigsten Nebenwirkungen bei Schmerzpatienten waren dieser Erhebung zufolge
- Müdigkeit
- Schwindel
- Übelkeit
- Schläfrigkeit
- Aufmerksamkeitsstörungen
- Mundtrockenheit
- Appetitsteigerung
- Gedächtnisstörungen und
- Gleichgewichtsstörungen
1179 der 3138 Patienten (37,6 Prozent) brachen die Therapie mit Cannabis wieder ab. Am häufigsten taten sie das, weil sie mit der Wirkung nicht zufrieden waren. Als zweithäufigster Grund für den Therapieabbruch wurden Nebenwirkungen angegeben.
Es wird daher von der Nutzung von Cannabisprodukten im Alltag abgeraten, wenn Fahrzeuge oder Maschinen bedient werden sollen. Cannabis-Patienten droht zwar nach der aktuellen Rechtslage keine Strafe, wie dies bei illegalen Anwendern nach §24a der Straßenverkehrsordnung (StVO) der Fall ist. Hierbei wird berücksichtigt, dass sie die Produkte gemäß „der bestimmungsgemäßen Anwendung eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels“ einnehmen. Dennoch sollten Cannabispatienten vor jeder Fahrt die eigene Fahrtauglichkeit überprüfen, da sie sich bei unzureichender Fahrtauglichkeit auch mit dem Nachweis des Bedarfs der Medikation nach §316 StGB ebenfalls strafbar machen.
Haben Sie Nebenwirkungen durch die Einnahme von Cannabis? Melden Sie diese!
Bei der Legalisierung des medizinischen Einsatzes von Cannabis in Deutschland im Jahr 2017 handelte es sich um eine politische Entscheidung. Der wissenschaftliche Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit Cannabis-haltiger Arzneimittel lag zu diesem Zeitpunkt nur für wenige Indikationen vor. Um diese Wissenslücke so rasch wie möglich zu verkleinern, wurde das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durch die Bundesregierung beauftragt, Daten zur Cannabis-Therapie im Rahmen einer so genannten Begleiterhebung zu erfassen und auszuwerten. Demzufolge sind alle Cannabis verordnenden Ärzte verpflichtet, Patientencharakteristika wie Diagnose / Indikation, die Auswirkung der Behandlung auf den Krankheits- und Symptomverlauf, Nebenwirkungen und Angaben zur Entwicklung der Lebensqualität anonym dem BfArM zu übermitteln.
Gehören auch Sie zu den Patienten, die Cannabisblüten oder andere Cannabisprodukte zur Behandlung Ihrer Gesundheitsproblematik einnehmen, achten Sie stets auf die Wirkungsweise. Beobachten Sie Nebenwirkungen, sollten Sie diese umgehend melden. Häufig reichen bereits wenige Hinweise aus, um in der Öffentlichkeit publik gemacht zu werden und das Gefahrenpotenzial zu verdeutlichen.
Mit unserem Meldeservice können Sie Ihre Beobachtungen schnell und unkompliziert weiterleiten, ohne Ihre Identität preiszugeben. Auch können Sie Ihren Arzt oder Apotheker in die Meldung einbinden.
Jede Meldung trägt aktiv zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für die Gesellschaft ebenso wie für den Einzelnen bei, da hierdurch eine verbesserte Informationsbasis für zukünftige Verordnungen geschaffen werden kann.